Der Dauerstreit um die Seenotrettung im Mittelmeer soll ein Ende haben. Lösungsvorschläge kommen auf den Tisch. Aber die Diskussion dreht sich im Kreis. Und das lautlose Sterben auf See geht weiter.
Flüchtlinge werden nördlich der libyschen Stadt Sabratha aus einem Schlauchboot gerettet. Ihnen droht oft der Rücktransport in das Bürgerkriegsland. Foto: Emilio Morenatti/AP
Flüchtlinge werden nördlich der libyschen Stadt Sabratha aus einem Schlauchboot gerettet. Ihnen droht oft der Rücktransport in das Bürgerkriegsland. Foto: Emilio Morenatti/AP - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Im Streit um die Rettung von Menschenleben im Mittelmeer mehren sich die Forderungen nach einer Neuordnung der Migration.
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Italiens Aussenminister Enzo Moavero Milanesi kündigte an, er wolle der EU am Montag neue Lösungsvorschläge vorlegen. Die Europäische Union brauche einen «strukturierten und stabilen Mechanismus» für die Umverteilung von Migranten, sagte der Minister am Sonntag. FDP-Chef Christian Lindner forderte legale Fluchtwege nach Europa und menschenwürdige Unterkunftsmöglichkeiten in Nordafrika. Die Umverteilung stösst bei einigen EU-Ländern in Ost- und Mitteleuropa auf heftigen Widerstand. Eine sichere Unterbringung für Migranten in Libyen erscheint zurzeit kaum möglich.

«Wir können nicht weiter von Fall zu Fall entscheiden und jedes Mal nach Notfall-Lösungen suchen», sagte Moavero Milanesi in einem am Sonntag veröffentlichten Interview des «Corriere della Sera». Bei einem Treffen mit EU-Aussenministern wolle er die Pläne diskutieren.

Die Weigerung Italiens und Maltas, auf dem Mittelmeer gerettete Flüchtlinge aufzunehmen, hatte in den vergangenen Wochen immer wieder für Konflikte gesorgt. Italien drängt seit längerem auf eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU.

Lindner bekräftigte, dass die Rettung von Migranten aus akuter Seenot nicht infrage gestellt werden dürfe. «Unterlassene Hilfeleistung ist nicht zu rechtfertigen. Auf der anderen Seite darf es keine Beihilfe zur Schlepperkriminalität bei Wirtschaftsmigranten geben», sagte Lindner den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Sonntag). «Die Lösung muss darin liegen, dass wir mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen in Nordafrika menschenwürdige Unterbringungsmöglichkeiten und legale Fluchtwege nach Europa schaffen.» Notwendig sei eine Seenotrettung in staatlicher Hand, die Migranten «aber nicht nach Europa bringt, sondern zunächst an den Ausgangspunkt der jeweiligen Reise». Den Schleppern dürfe das Geschäft nicht erleichtert werden.

Lindner drang zugleich auf «eine Änderung der deutschen Einwanderungspolitik - und die Reduzierung der illegalen Migration». Dann werde es auch gelingen, die legal Schutzsuchenden fair in Europa zu verteilen. «Leider geht bei uns alles durcheinander: Jeder, der auf dem Seeweg nach Europa kommt, wird als Flüchtling bezeichnet. Wir müssen der Wahrheit ins Auge blicken, dass darunter auch nicht verfolgte Wirtschaftsmigranten sind, die keine legale Bleibemöglichkeit haben.

Libyen aber, von wo aus die meisten Migranten zu der riskanten Überfahrt über das Mittelmeer starten, ist von einem jahrelangen Bürgerkrieg zerrissen. Dort drohen den Migranten nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen Folter, Sklaverei und schwerste Misshandlungen. Die seit zwei Monaten anhaltenden Kämpfe um die Hauptstadt Tripolis haben die Situation weiter verschlechtert. Nachbarländer lehnten die Einrichtung von Migrantenlagern ab.

Bundesaussenminister Heiko Maas schlug eine Vorreiterrolle Deutschlands und anderer aufnahmewilliger EU-Staaten vor. «Wir brauchen ein Bündnis der Hilfsbereiten für einen verbindlichen Verteilmechanismus», sagte der SPD-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Samstag). Deutschland sei bereit zu garantieren, immer ein festes Kontingent an Geretteten zu übernehmen.

Österreichs konservativer Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hielt Maas entgegen: «Die Verteilung von Migranten in Europa ist gescheitert. Wir diskutieren erneut über Ideen aus 2015, die sich hinlänglich als nicht umsetzbar erwiesen haben (....) Wir dürfen keine falschen Signale aussenden und müssen es unbedingt verhindern, dass weitere Menschen ihr Leben bei der gefährlichen Überfahrt über das Mittelmeer aufs Spiel setzen.»

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg, begrüsste zwar einen möglichen verbindlichen Mechanismus, der CDU-Politiker hält aber weitere Massnahmen für nötig. «Mittelfristig brauchen wir die Umsetzung der Beschlüsse des EU-Rats vom Juni 2018 - eine noch intensivere Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern zur Reduzierung der Migration und Ausschiffungsplattformen an den Mittelmeerküsten, in denen die Migranten menschenwürdig untergebracht wären, ihre Asylverfahren bearbeitet würden und von wo aus auch Rückführungen organisiert werden könnten», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Das Thema Migration hat wieder an Brisanz gewonnen, nachdem die deutsche Kapitänin Carola Rackete unerlaubt mit Dutzenden Migranten an Bord der «Sea-Watch 3» nach Italien gefahren war. Gegen sie wird in Italien ermittelt. Die Regierung in Rom hat die Häfen des Landes für NGOs mittlerweile komplett gesperrt.

Stattdessen wird das Für und Wider von Seenotrettern auf dem Mittelmeer erbittert diskutiert. Ist allein die Präsenz von NGO-Schiffen - also von Hilfsorganisationen - dafür verantwortlich, dass Migranten die Fahrt von Libyen in Richtung Europa aufnehmen? Gibt es also diesen «Pull-Faktor», diesen Anziehungs-Faktor?

Italiens rechter Innenminister Matteo Salvini argumentierte erneut, die privaten Rettungsschiffe würden die Migranten erst auf See locken. Unter Bezug auf Rackete sagte er: «Ohne Piratenschiffe der NGOs, ohne deutsche Heldinnen namens Carola, die Gesetze brechen: Wie es der Zufall will, sinken die Abfahrten und es gibt nicht mal mehr eine Ankunft.»

Das stimmt jedoch nach mehreren Untersuchungen und Statistiken nicht. Auch ohne zivile Rettungsschiffe auf dem Meer setzen Schlepper Menschen in Libyen auf Boote. Von Januar bis Juni 2019 hätten pro Tag 32 Migranten in Libyen abgelegt, wenn NGO-Schiffe im Einsatz waren - ohne Einsatz waren es 34 Migranten, wie Matteo Villa vom italienischen Institut für Internationale Politikstudien unter Berufung auf Zahlen der Internationalen Organisation für Migration und des UN-Flüchtlingswerks UNHCR berichtete.

Seit Anfang des Jahres sind nach Angaben der Organisation für Migration im Mittelmeer mindestens 682 Migranten ums Leben gekommen, 426 auf der Route von Libyen nach Europa. Das sind wesentlich weniger als noch im Jahr 2016 mit mehr als 2500 Toten. Darauf weist auch immer wieder Salvini hin.

Für die, die allerdings in Boote steigen, ist die Fahrt mittlerweile wesentlich riskanter: Die Todesrate (Proportion zwischen versuchten Abfahrten und Toten) liegt nun bei 5,2 Prozent - im letzten Jahr waren es 3,2 Prozent. Und viele Unglück werden gar nicht mehr bekannt, seitdem es weniger Rettungsschiffe gibt.

Daher will die deutsche Hilfsorganisation Sea-Eye mit dem Schiff «Alan Kurdi» schon Ende Juli zu einer neuen Mission aufbrechen. Das nächste Geschachere wird wohl nicht allzu lange auf sich warten lassen.

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