Mega-Streiks bringen Rentenreform ins Wackeln
Seit Jahrzehnten kämpft Frankreich erfolglos für eine dringend benötigte Rentenreform. Warum auch Macrons Versuch scheitern könnte.
Das Wichtigste in Kürze
- In Frankreich gehen hunderttausende Menschen gegen die Rentenreform auf die Strasse.
- Ein Rückblick zeigt: Rentenreformen sind in Frankreich ein Dauerstreitthema.
- Emmanuel Macron könnte sich wie seine Vorgänger die Zähne an der Reform ausbeissen.
Es ist ein Projekt der Superlative für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Er will sein Wahlversprechen einlösen und die Rentenreform durchsetzen. Dass der Schuss auch nach hinten losgehen kann, zeigt ein Blick in die Vergangenheit.
Bereits Chirac und Sarkozy scheiterten
Konkret will Macron die 42 Einzelsysteme des Rentensystems unter einem System zusammenfassen. Künftig soll ein System nach Punkten über die Höhe der Rente bestimmen. Jeder eingezahlte Euro entspricht dabei einem Punkt, wer länger arbeitet, bekommt also auch mehr Rente.
So weit die Theorie. Die anhaltenden Streiks in Frankreich zeigen allerdings, dass die geplante Reform bei vielen Menschen Angst und Wut auslöst. Dieses Problem ist in Frankreich ein altbekanntes. Bereits Jaques Chirac und Nicolas Sarkozy scheiterten oder mussten grosse Änderungen an ihren Reformen vornehmen.
Macrons Fehler
Macron könnte also der nächste sein, der sich an der Rentenreform in Frankreich die Zähne ausbeisst. Das habe auch seine Gründe, sagt Gilbert Casasus, Politologe an der Universität Fribourg. «Macron hat mit seinem Macronismus einen Fehler gemacht. Er wollte mit der Gleichzeitigkeit von linken und rechten Bedürfnissen einen Konsens erzwingen, was im Rahmen der Rentenreform unmöglich ist.»
Zwar ging Macron um einiges vorsichtiger ans Werk als seine Vorgänger, muss aber auch Kritik über sich ergehen lassen. «Auf einen Konsens zwischen links und rechts zu hoffen, war ziemlich naiv», sagt Casasus. Sein grösster Fehler bestehe schlussendlich darin, sich von den Gewerkschaften, auch den gemässigten, distanziert zu haben. «Schliesslich haben Ihre Anhänger sowie viele linke Wählerinnen und Wähler ihn 2017 zum Präsidenten gemacht», so Casasus.
Traditioneller Symbolcharakter
Der Grund dafür, dass sich Frankreich seit Jahrzehnten mit einer Rentenreform schwertut, sieht Casasus auch in der Rentengeschichte des Landes. «Die Herabsetzung des Rentenalters auf 60 unter Mitterand 1981 war eine grosse Errungenschaft und hat bis heute Symbolcharakter. Errungenschaften haben in Frankreich einen hohen Traditionswert, woran auch die Gewerkschaften nichts ändern wollen.» Dies wurde auch Anfang der 2000er deutlich, als es selbst einer linken Regierung nicht gelang, eine Rentenreform durchzubringen.
Quo vadis, Rentenreform?
Der aktuelle Status der Rentenreform bleibt bis spätestens nächste Woche bestehen. Emmanuel Macron verkündete gestern, er wolle bis Mitte nächste Woche über die Details der Reform informieren.
Dies sei auch wichtig, sagt Gilbert Casasus und ergänzt: «Macron muss zeigen, dass etwas geht, auch um seine Wähler zufrieden zu stellen.» Vor allem müsse der Präsident aber mit den Gewerkschaften und der Bevölkerung ins Gespräch kommen. Ohne deren Unterstützung wird eine mögliche Wiederwahl im Mai 2022 eine sehr schwierige Angelegenheit.