Die Spannungen im Grenzgebiet zwischen Belarus und Polen halten an. Im Zielland Deutschland fühlen sich manche an 2015 erinnert.
Migranten vor einem Grenzzaun aus Stacheldraht an der belarussisch-polnischen Grenze bei Grodno Grodno. Foto: Leonid Shcheglov/BelTA/AP/dpa
Migranten vor einem Grenzzaun aus Stacheldraht an der belarussisch-polnischen Grenze bei Grodno Grodno. Foto: Leonid Shcheglov/BelTA/AP/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • An der EU-Aussengrenze zwischen Polen und Belarus spitzt sich die Situation mit Tausenden gestrandeten Migranten weiter zu.
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Polnische Behörden meldeten am Dienstag, eine «grosse Gruppe» von Sicherheitskräften des autoritär geführten Belarus bewege sich in Richtung eines Lagerplatzes von Migranten im Grenzgebiet. Das Aussenministerium in Minsk warnte Polen vor «Provokationen».

Am Dienstagmorgen hat Polen den Grenzübergang Kuznica, in dessen Nähe sich die Migranten im Wald aufhalten, geschlossen. Reisende wurden gebeten, auf die Grenzübergänge in Terespol und Bobrowniki auszuweichen - sie liegen rund 230 Kilometer beziehungsweise 70 Kilometer entfernt. Bei Bobrowniki bildeten sich zwischenzeitlich lange Staus.

Bei Minusgraden in Zelten

Am Montag waren polnischen Angaben zufolge Tausende Menschen - viele aus Krisengebieten wie Afghanistan und Irak - von belarussischer Seite aus in Richtung polnischer Grenze gelaufen. Grössere Gruppen versuchten, die Zaunanlage zu durchbrechen. Laut polnischen Behörden hielten sich 3000 bis 4000 Migranten im Grenzgebiet auf. Bei Minusgraden verbrachten viele die Nacht in Zelten im Wald.

Die Regierung in Warschau und die EU werfen dem autoritären belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, gezielt Menschen aus Krisenregionen einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen. Ein Grossteil der Migranten und Flüchtlinge will nach Deutschland. In der ersten Novemberwoche hat die Bundespolizei 992 unerlaubte Einreisen mit einem Bezug zu Belarus festgestellt. Im Oktober registrierten die Polizeibeamten 5285 solcher Einreisen. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hatte Ende Mai angekündigt, die Menschen auf ihrem Weg nach Europa nicht länger aufzuhalten - als Reaktion auf westliche Sanktionen gegen Belarus.

Angriff auf «beispiellose Weise»

Polens Präsident Andrzej Duda sagte, die Migranten an der Grenze würden von belarussischer Seite blockiert, so dass sie das Gebiet nicht verlassen könnten. Das belarussische Regime greife die Grenze Polens und der EU auf bisher «beispiellose Weise» an, indem es Migranten de facto ins Land einlade und an die polnisch-belarussische Grenze dränge.

Die Situation an der Grenze sei derzeit unter Kontrolle, versicherte Duda. Es seien ausreichend Grenzschützer, Soldaten und Polizisten vor Ort. Eine Unterstützung seitens der Nato sei zunächst nicht notwendig, sagte Duda, der angab diesbezüglich in stetigem Kontakt mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zu sein.

«Es ist eine ganz fiese politische Methode, die man auf jeden Fall unterbinden muss. Wir nennen das hybride Bedrohung, wo Menschen benutzt werden, um die EU und besonders Deutschland zu destabilisieren - das darf sich nicht durchsetzen auf der Welt!», sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), wie sein Sprecher bei Twitter schrieb. Der geschäftsführende Minister hatte Polen bereits im Oktober Unterstützung angeboten und verstärkte gemeinsame Streifen an der deutsch-polnischen Grenze angeregt. Stationäre Kontrollen an diesem Grenzabschnitt hält Seehofer bislang nicht für sinnvoll.

Maas für Sanktionen wegen Schleusungen

Der geschäftsführende Aussenminister Heiko Maas ist für Sanktionen gegen alle, die sich an der Schleusung von Flüchtlingen nach Belarus beteiligen. «Niemand sollte sich ungestraft an Lukaschenkos menschenverachtenden Aktivitäten beteiligen dürfen», erklärte der SPD-Politiker mit Blick auf das Verhalten von Machthaber Alexander Lukaschenko in der Nacht zum Mittwoch in Berlin. Dies gelte für Herkunfts- und Transitstaaten, aber auch für Fluggesellschaften, die den Transport von Menschen nach Belarus ermöglichten. Die Europäische Union sei bereit, «hier klare Konsequenzen zu ziehen».

«Die Bilder und Eindrücke, die wir aus dem belarussischen Grenzgebiet erhalten, sind entsetzlich», so Maas in seiner schriftlichen Erklärung. «Herr Lukaschenko dreht weiter an einer gefährlichen Eskalationsspirale, aus der es für ihn selbst keinen Ausweg gibt. Skrupellos nutzt er Zuflucht suchende Menschen als Geiseln für sein zynisches Machtspiel aus.» Die EU sei aber nicht erpressbar.

Der SPD-Politiker sprach sich auch für weitere direkte EU-Sanktionen gegen Belarus aus. «Lukaschenko muss erkennen, dass sein Kalkül nicht aufgeht. Das schliesst übrigens auch nicht aus, künftig die Sanktionen auch auf andere Wirtschaftsbereiche auszuweiten.» Einige Wirtschaftssektoren wie die Kaliindustrie und Energiewirtschaft sind bereits mit Strafmassnahmen belegt.

Polen verlegt Streitkräfte

Lukaschenkos Pressedienst teilte am Dienstag nach einem Telefonat des Machthabers mit Russlands Präsident Wladimir Putin mit, dass die beiden über das «harte Vorgehen der polnischen Seite» gegen friedliche Menschen gesprochen hätten. «Besondere Besorgnis lösen die Tatsachen einer Verlegung von Streitkräften Polens an die Grenze aus», liess Lukaschenko mitteilen. In einem von Staatsmedien ausgestrahlten Interview machte er später international organisierte Schleusernetzwerke für die Tausenden Migranten an der Grenze verantwortlich. Die Flüchtlinge nutzten diese Strukturen und bezahlten viel Geld, um ein besseres Leben im Westen zu finden.

Sollten andere Massnahmen zur Eindämmung der Migrationsbewegungen aus Belarus nach Deutschland keine Wirkung zeigen oder nicht ausreichen, solle die Bundesregierung Vorkehrungen treffen, damit als letztes Mittel auch zeitlich befristete Grenzkontrollen an der deutsch-polnischen Grenze eingeführt werden könnten, forderte die Unionsfraktion. Die Frage, ob Zurückweisungen von Asylbewerbern an einer EU-Binnengrenze praktikabel und rechtlich möglich sind, war in Deutschland zuletzt 2018 kontrovers diskutiert worden. Eine klare Antwort blieb die Bundesregierung bis heute schuldig.

Es müsse für die Migranten an der belarussischen Grenze eine humanitäre Lösung gefunden werden in der EU - «diesen Menschen muss geholfen werden», sagte der designierte SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil am Dienstag der «Bild»-Zeitung. Die Staaten der Europäischen Union müssten zugleich gemeinsam «dafür sorgen, dass keine neuen Flüchtlinge mehr nachkommen.»

Merz fordert klare Haltung

Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz verlangte von den Spitzen der voraussichtlichen Ampel-Koalition eine klare Haltung. «Die deutsche Öffentlichkeit hat Anspruch darauf zu erfahren, welche Meinung die zukünftige Regierung denn zu diesem Thema hat», sagte Merz der Deutschen Presse-Agentur.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte der «Welt». «Erstens: Nein zu menschenunwürdigen Pushbacks. Und zweitens: Ja zu Solidarität.» Zugleich müsse die Europäische Union ihre Sanktionen gegen Belarus verschärfen. «Für all die, die jetzt Zuflucht suchen, muss ein geregeltes Asylverfahren gewährleistet werden. Es braucht ein unbürokratisches Aufnahmeprogramm, in Deutschland und europaweit», sagte die Vorsitzende der Linkspartei, Susanne Hennig-Wellsow.

Lob für die polnische Regierung kam von der AfD. Parteichef Tino Chrupalla sagte: «Wir danken der Regierung und den Sicherheitskräften der Republik Polen, die mit ihrem standhaften und aufopferungsvollen Einsatz nicht nur die Aussengrenze der EU, sondern auch die Sicherheit Deutschlands und seiner Bürger verteidigen.»

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