Mit dem Retro-Fahrrad kehrt eine Lebenskultur zurück

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Deutschland,

Alte Fahrräder mit Stahlrahmen und ohne Gangschaltung erleben aktuell eine Renaissance. Der Trend kommt aus Grossbritannien. «Tweed Ride» oder «Tweed Run» nennen sich die Veranstaltungen des gemütlichen, gemeinschaftlichen Fahrens - zum zweiten Mal auch im Schlaubetal.

Reno Hölzke (r), Organisator «Tweed Ride», und sein Bekannter, Stefan Härtel, begeistern sich für alte Tourenräder und Tweed-Mode aus den 1920er und -30er Jahren. Foto: Patrick Pleul
Reno Hölzke (r), Organisator «Tweed Ride», und sein Bekannter, Stefan Härtel, begeistern sich für alte Tourenräder und Tweed-Mode aus den 1920er und -30er Jahren. Foto: Patrick Pleul - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Reno Hölzke hat das malerische Schlaubetal direkt vor der Haustür.

Und das gilt immerhin als schönstes Bachtal Brandenburgs.

Der 49-jährige Familienvater lebt in dritter Generation am Rande Müllroses (Oder-Spree) und fühlt sich der Landschaft sehr verbunden. Was liegt da näher, als Natur und Radwege zu einem Event zu verbinden, um die ländliche Lebenskultur zu zelebrieren?

Trend aus England

Bereits zum zweiten Mal organisiert Hölzke einen «Tweed Ride», zu dem sich für den 18. Mai rund 100 Fans alter Fahrräder einfinden werden. In zeitgemässen Kostümen radeln sie durchs Schlaubetal - ohne Zeitmessung oder Wertung, sondern rein zum Vergnügen mit Charme und Stil. «Der Trend kommt aus England. Dort lassen sich die Landbewohner nicht verstädtern, sondern leben ihre Traditionen», erklärt Hölzke, der viele Freunde in London und Umgebung hat.

Im vergangenen Jahr probierte er mit dem «Tweed Ride» Müllrose erstmals aus, ob sich diese Art der Lebenskultur nicht auch in die Brandenburger Provinz bringen lässt. Was bei Oldtimer-Autos fasziniere, könne doch auch bei Rädern funktionieren, dachte er sich.

Der Erfolg gab ihm Recht: Rund 80 Mitstreiter machten sich mit ihren alten Drahteseln, zu denen sogar Hochräder und Tandems gehörten, auf die 16,5 Kilometer lange Tour inklusive Picknick durchs Schlaubetal. «Da war alles dabei - von Leuten in alten Polizei- oder Feuerwehruniformen, über Radler in Safari-Kluft bis hin zu 1920er- und 1930er-Jahre-Mode oder den Woll-Trikots von früher.»

Mit Knickerbocker-Hosen und Schiebermütze

Einige Hersteller hätten sich auf diesen Vintage-Stil spezialisiert, aber auch auf Trödelmärkten werde der Interessent fündig. Hölzke selbst liebt es auch diesmal wieder klassisch britisch: Knickerbocker-Hosen mit dem Bund zwei Inches unter dem Knie, Weste und Schiebermütze natürlich aus Tweed. Dazu ein kariertes Hemd, braune Knöchel-Schnürschuhe sowie eine Fliege eines Herstellers aus London.

Dass der Müllroser «Tweed Ride» so gut ankommt, ist für Ulrich Feick vom Berliner Verein Historische Fahrräder nicht verwunderlich. «Das Radeln auf klassischen Gefährten ohne Gangschaltung und Schutzblech, mit Stempelbremse (ein Hebel, der einen Metallschuh gegen die Lauffläche des Reifens drückt) und grossem Kettenblatt ist einfach Retro und liegt im Vintage-Trend. Das ging vor etwa 15 Jahren in England los und findet auch bei uns immer mehr Liebhaber.» Als Beispiel nennt der Berliner, der in der Hauptstadt ein Fahrradmuseum betreibt, den «Velo Classico», der wieder am 14. und 15. September in Ludwigslust (Mecklenburg-Vorpommern) ausgetragen wird.

Radeln auf dem Tourenrad

Die klassischen Tourenräder stammen aus England. «Sie haben keine Schaltvorrichtung und abgeknickte Lenker», sagt er. Der Müllroser Hölzke besitzt so ein Exemplar, Marke Atlas Royal aus den 1950er Jahren, wie er stolz berichtet. Jeder Erwachsene, der am 18. Mai am Schützenhaus des Ortes an den Start geht, zahlt eine Gebühr von zehn Euro.

Der Erlös kommt wie im vergangen Jahr einer gemeinnützigen Einrichtung in der Region zugute. Auch das sei ganz in der britischen Tradition, sagt Hölzke. Am Schützenhaus endet die Tour nach mehr als drei Stunden auch wieder. «Dann prämieren wir das beste Kostüm, den schönsten Bart und das nostalgischste Fahrrad», verrät der Organisator.

Prominenter Nostalgiker

Erstmals wird der Berliner Schauspieler und Couplets-Sänger Benno Radke in Müllrose dabei sein, der von sich selbst sagt: «Ich kann nur Fahrrad und nicht Auto fahren.» Die Details wie alte Laternenkerzen oder Zahnkränze würden die alten Drahtesel ausmachen, schwärmt er. «In Berlin wird die eigene Kulturgeschichte eher verdrängt, deswegen fahre ich raus ins Umland», meint Radke.

Er wird beim «Tweed Ride» in seine Parade-Rolle als Kaiser Wilhelm II. schlüpfen. Die hatte er schon mehrere Jahre beim Kaiserfest in Wriezen (Märkisch-Oderland) gespielt. Der Kaiser in Müllrose? «Der war schliesslich der Lieblingsenkel der englischen Queen Victoria», begründet Hölzke. Radke wird zum Start ins Jagdhorn blasen und im Ziel für musikalische Unterhaltung sorgen.

Ellen Russig, Geschäftsführerin des Tourismusverbandes Seenland Oder-Spree, zeigt sich begeistert. Der könnte zu einem neuen touristischen Aushängeschild in der Region werden. «Das Thema Radfahren ist bei uns ein grosser Schwerpunkt. Aufgrund eines gut ausgebauten Radwegenetzes kommen viele Gäste zu uns», sagt sie. Natürlich soll der Müllroser Tweed Ride noch wachsen, aber aus der Gemeinschaft heraus, sagt der Initiator. «Wir haben in Müllrose unheimlich engagierte Leute.» Im kommenden Jahr will Hölzke einen Drahtesel aus den 1920er Jahren fahren, dann stilecht mit einer Melone auf dem Kopf.

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