Netflix: Doku enthüllt tödliche Lügen von Schweizer Arzt
Betrug, Affären, Operationen und sieben Leichen – und mittendrin ein Schweizer. Eine Doku auf Netflix beleuchtet den schockierenden Fall Paolo Macchiarini.
Das Wichtigste in Kürze
- Chirurg Paolo Macchiarini hat acht Menschen Luftröhren aus Plastik eingesetzt.
- Sieben von ihnen starben, einer Person wurde das Implantat wieder entfernt.
- Die Netflix-Doku «Bad Surgeon» enthüllt die Lügen des einst gefeierten Arztes.
Der Chirurg Paolo Macchiarini wurde jahrelang als medizinischer Überflieger gefeiert: Er operierte unter anderem an einem angesehenen Institut in Schweden und entwickelte eine neue Art der Transplantation. Die Medien stellten ihn als Held dar.
Der Erfolg war jedoch von kurzer Dauer – schnell wurden seine Arbeitskollegen stutzig. Es stellte sich heraus, dass vieles nicht so war, wie der 65-Jährige sagte. Heute steht er im Zentrum einer Doku von Netflix über Lug und Trug. Aber von vorne.
Plastik-Luftröhre sollte Patienten retten
Vor rund 15 Jahren beginnt der grosse Medienrummel um den Italiener, der in Basel aufgewachsen ist. Er hat eine neue Methode entwickelt, um Menschen mit einer verletzten oder kranken Luftröhre zu heilen: Ein Implantat aus Plastik, das vor der OP in den Stammzellen der jeweiligen Patienten gebadet wird.
Dadurch soll das Plastikstück vom Körper nicht abgestossen werden und funktionieren wie ein ganz normales menschliches Organ. Das erste solche Implantat setzt Macchiarini 2008 einer jungen Frau in Barcelona ein – ein medizinischer Durchbruch.
Die positiven Berichte reissen nicht ab. Eine Doku begleitet eine Russin mit einem Loch in der Brust, der Macchiarini ebenfalls eine Plastik-Luftröhre einsetzt. Im Film zeigt sich die junge Mutter dankbar und hoffnungsvoll, erzählt, wie sie nun ihre Ausbildung fortsetzen will.
Während er international bejubelt wird, läuft es für Macchiarini auch in der Liebe rund: Die US-Journalistin Benita Alexander, die einen Dokumentarfilm über seine Implantate produziert, verliebt sich in ihn. Die beiden verloben sich bald.
Sieben von acht Plastik-Luftröhren-Patienten sterben
Insgesamt acht Personen aus der halben Welt erhalten ein Luftröhren-Implantat: Unter anderem ein kleines Mädchen aus Südkorea, eine Frau aus der Türkei und ein junger Vater aus den USA. «OP-Sensation: Stammzellen-Luftröhre rettet Hannahs Leben», titelt der deutsche «Spiegel» 2013. Der Artikel ist bis heute abrufbar.
Nur: Hannah – das Mädchen aus Südkorea – ist nach der OP nicht gerettet. Sondern tot. Ähnlich ergeht es der jungen Russin, die auch in der Doku von Netflix gezeigt wird.
«Drei Wochen nach der ersten Operation öffnete sich eine eitrige Fistel und seitdem verwest meine Kehle. Ich wiege 47 Kilo, ich kann kaum laufen», schreibt sie in einem Brief.
Auch der Vater aus den USA und die Frau aus der Türkei leben heute nicht mehr. Von den acht Luftröhren-Patienten sterben sieben nach der OP. Nur einer überlebt – nachdem ihm das Plastikstück entfernt wird.
Positive Berichte trotz sterbender Patienten
Brisant: Als die Doku über die junge Russin veröffentlicht wird, haben die Macher ihren Brief gelesen. Und in einer Sendung über Hannah wird sie als Pionierin für Stammzellen-Technologie dargestellt, die nicht vergeblich gestorben sei.
Wenig später stellt sich jedoch heraus, dass Macchiarini weder ein Super-Chirurg noch ein Traumschwiegersohn war – sondern ein Lügner. Seine Kollegen am schwedischen Karolinska-Institut beginnen, seine Forschungen zu hinterfragen. Mehrere von ihnen sprechen auch mit Netflix.
Sie bezweifeln, dass er wirklich Tierversuche durchgeführt hat, bevor er Menschen künstliche Luftröhren einsetzte. Für sie ist klar: Die Patienten sind nichts als Versuchskaninchen.
Trotz der Warnungen von Wissenschaftlern und Whistleblowern verschliesst das Karolinska-Institut lange die Augen vor den möglichen Fehlern seines Star-Chirurgen. Medienberichten zufolge versucht es sogar, den Betrug zu vertuschen. Denn: Es profitiert vom Rummel um Macchiarini mit grosszügigen Spenden.
Chirurg versprach Verlobter, Papst würde sie trauen
Aber nicht nur im Beruf kommen immer mehr seiner Lügen ans Licht: Seine Verlobte findet heraus, dass er in Wirklichkeit eine Frau und Kinder hat und nie geplant hatte, sie zu heiraten. Dabei hatte er ihr immer dickere Lügen aufgetischt: Sie würden vom Papst höchstpersönlich vermählt und sowohl Barack Obama als auch Bill Clinton seien zur Hochzeit eingeladen.
Doch es kommt noch dicker: Neben seiner Ehefrau und der Verlobten hatte Macchiarini noch eine Freundin und ein gemeinsames Kind in Italien. Er hatte sie verführt, nachdem ihr Sohn eine seiner Operationen nicht überlebt hatte.
Seine Ex-Verlobte, Journalistin Benita Alexander, geht mit dem Fall vor die Medien, führt auch durch die Doku von Netflix. Für sie ist klar: Macchiarini hat sie nur ausgenutzt, weil sie Journalistin ist. Das Bild des «Super-Chirurgen» bröckelt und bröckelt, bis auch das Karolinska-Institut nicht mehr hinter ihm steht.
Im Juni 2023 fällt schliesslich das Urteil gegen Macchiarini in Stockholm: Zweieinhalb Jahre Haft wegen schwerer Körperverletzung. Mindestens zwei seiner Patienten hätten ohne seine Transplantationen länger leben können. Bei einem weiteren Patienten sei sein Eingriff trotz medizinischer Notlage «unverantwortlich» gewesen.
Dagegen hat Macchiarini Berufung eingelegt.