Polen-Aussenminister: «Putin hat Atomwaffen nicht auf Knopfdruck»
Putin könne Atomwaffen nicht jetzt einsetzen, sagt Radosław Sikorski – da gehöre ein langes Verfahren dazu. Aber ein Angriff auf Nato-Staaten sei nicht abwegig.
Das Wichtigste in Kürze
- Der polnische Aussenminister warnt davor, dass Russland Nato-Staaten angreifen könnte.
- Deshalb drängt Radosław Sikorski Deutschland, Taurus-Waffen in die Ukraine zu schicken.
- Allerdings könne Putin nicht so schnell zur Atomwaffe greifen, wie er droht.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz möchte weiterhin keine Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine schicken. Das erklärte er letzten Mittwoch bei einem Treffen mit dem britischen Premierminister Rishi Sunak. Grossbritannien und die USA schicken beide grosse Hilfspakete an die Ukraine – der Druck auf den Bundeskanzler wird grösser.
Putin hat in der Vergangenheit schon oft damit gedroht, Nato-Länder anzugreifen, wenn bei der Ukraine stark eingegriffen wird. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Angst hat davor, dass Putin zur Atomwaffe greifen könnte, falls von Nato-Staaten mehr Druck komme. Dies sei der Grund dafür, wieso Scholz sich gegen die Lieferung der Taurus-Marschflugkörper entschieden habe.
«Russlands Generale wissen, was eine Atombombe bedeutet»
Der polnische Aussenminister Radosław Sikorski (61) entwarnt im Interview mit der deutschen Zeitung «Bild»: «Das sind keine Waffen, die er auf Knopfdruck hat. Es gibt eine normale Befehlskette des Verteidigungsministeriums und des Generalstabs, um sie einzusetzen.»
Putin müsse also seine Generäle überreden, einen solchen Befehl auszuführen. Diese Generäle würden wissen, dass die Ausführung eines solchen Befehls bedeuten würde, zum Kriegsverbrecher zu werden.
Ausserdem sei Russland durch die harten Worte der USA abgeschreckt. Die Vereinigten Staaten hätten ausdrücklich gesagt, dass Amerika seine konventionellen Streitkräfte einsetzen würde, wenn Russland eine Atombombe einsetzen würde.
Gleichzeitig sagt Sikorski, dass er einen Angriff Russlands auf Nato-Staaten durchaus für möglich halte. Besonders Polen und die baltischen Staaten könnten davon betroffen sein, sagt er zur «Bild».
Auf die Frage nach der Wahrscheinlichkeit eines solchen Angriffs antwortet er: «Russland hat Polen in den 500 Jahren unserer Geschichte viele Male angegriffen. Wir wären also überhaupt nicht überrascht. Russland würde dann verlieren, weil wir als Westen weitaus mächtiger sind als Russland.»
Deutschland erntet vom polnischen Aussenminister im «Bild»-Interview weitere Kritik: «Die deutschen Politiker scheinen zufrieden zu sein, dass Russland erst in vier bis fünf Jahren bereit sein wird. Bis dahin wird Deutschland bereit sein. Aber der Punkt ist, dass Russland, bevor es nach Deutschland kommt, einige andere Länder erreichen muss», sagt er.
Radosław Sikorski gilt als einer der härtesten Kritiker der deutschen Kriegspolitik in der Ukraine. Der 61-Jährige war früher Kriegsreporter und berichtete in den 1980er aus Afghanistan und später Jugoslawien. Er ist ein starker Befürworter dafür, mehr Unterstützung in die Ukraine zu schicken: um diesen Krieg zu beenden, bevor er über weitere Grenzen schreitet.