Die Proteste gegen Willkür in Russland reissen nicht ab. Auch Verbote hindern viele Moskauer nicht daran, für freie Wahlen einzutreten. Die Opposition hofft darauf, dass ihre Kandidaten zu den Regionalwahlen zugelassen werden. Doch die Polizei greift wieder hart durch.
Polizisten führen Demonstranten ab. Foto: Alexander Zemlianichenko/AP
Polizisten führen Demonstranten ab. Foto: Alexander Zemlianichenko/AP - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Russische Polizeikräfte haben bei einer weiteren friedlichen Protestaktion der Opposition für faire und freie Wahlen in Moskau erneut Hunderte Menschen festgenommen.
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Die mit Helmen, Schutzwesten und Schlagstöcken ausgerüsteten Uniformierten packten Dutzende Menschen an Händen und Beinen und zwängten sie in Polizeibusse. Als Menschen immer wieder einzeln abgeführt wurden, riefen Aktivisten «Schande, Schande» und «Russland wird frei sein». Ziel der Aktion war es auch, den Moskauern vor Augen zu führen, wie ein «Polizeistaat» aussieht. Das Vorgehen der Sicherheitskräfte löste international Kritik aus.

Das Innenministerium sprach von rund 600 Festnahmen und von 1500 Teilnehmern der als Spaziergang deklarierten Aktion. Dem Bürgerrechtsportal OWD-Info zufolge kamen 828 Menschen in Gewahrsam. Unter den Festgenommenen war auch die bekannte Anti-Korruptions-Kämpferin Ljubow Sobol. Sie wurde von der Polizei in einem Taxi abgefangen, mit dem sie zur Demonstration fahren wollte. Sobol ist bereits seit Tagen in einem Hungerstreik - und geschwächt.

Die Juristin Sobol kämpft für eine Zulassung als Kandidatin zur Wahl des Moskauer Stadtrats am 8. September. Die Wahlleitung hatte ihr wie den meisten nicht systemtreuen Anwärtern keine Registrierung erteilt - wegen angeblich schwerer Formfehler.

Die massenhafte Repression Andersdenkender in Russland werde den Machthabern im Kreml nicht lange helfen; die Unzufriedenheit der Menschen im Land nehme zu, hatte Sobol kurz vor der Festnahme gesagt. Sie gehört zum Team des inhaftierten Politikers Alexej Nawalny, der seit Ende Juli eine 30-tägige Arreststrafe absitzt. Viele prominente Köpfe der zersplitterten Opposition konnten an den neuerlichen Aktionen nicht teilnehmen, da sie ebenfalls in Arrest sind. Vor einer Woche hatte die Polizei am Samstag rund 1400 Menschen festgenommen.

Während der Demonstration teilte die russische Justiz mit, erneut gegen den Oppositionspolitiker Nawalny vorzugehen. Nach Angaben des Ermittlungskomitees ist gegen seinen Fonds zur Korruptionsbekämpfung ein Strafverfahren wegen Geldwäsche eingeleitet worden. Dabei gehe es um eine Summe von einer Milliarde Rubel (13,7 Mio. Euro).

Der Fonds recherchiert zu Korruptionsfällen bekannter Politiker, darunter Regierungschef Dmitri Medwedew. Neue Enthüllungen richten sich gegen die Moskauer Vizebürgermeisterin Natalja Sergunina. In ihrem familiären Umfeld sei ein Vermögen von 6,5 Milliarden Rubel (92 Mio. Euro) gefunden worden. Nawalnys Team warf ihr vor, öffentliches Eigentum zu plündern. Sergunina zeichnet verantwortlich für die Wahlen in Moskau.

Die Innenstadt von Moskau war entlang der prächtigen Boulevards mit Metallgittern abgesperrt. Tausende Uniformierte waren im Einsatz - Lastwagen und Polizeibusse versperrten vielerorts die Wege. Das Zentrum glich einer Festung. Auf den ersten Blick war nicht zu erkennen, wer am Samstag spazieren ging oder Demonstrant war.

«Das System führt sich immer aggressiver auf», sagte der prominente Rocker und Musikkritiker Artemi Troizki. Er stand am Twerskoj Boulevard und kritisierte die «verlogenen Diebe» in der Stadtverwaltung, die ehrliche und junge Leute an ihrem Wahlrecht hinderten, um ihre Pfründe zu sichern. «Wenn es bei uns früher autoritär war, so haben wir jetzt praktisch ein totalitäres System», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

«Es ist schlimm, hier zu leben. Es ist ein unglückliches Land. Die Leute sind arm.» Er kritisierte auch die deutsche Politik, die zu viel Verständnis für Kremlchef Wladimir Putin zeige. «Wenn Deutschland aufhören würde, Gas und Öl bei Russland zu kaufen, wäre das System schnell am Ende», meinte er. Die Polizei liess den bekannten Publizisten unbehelligt. Vorübergehend in Gewahrsam kam aber etwa auch der junge Schauspieler Alexander Pal.

Während der Kundgebung funktionierte das mobile Internet zeitweise nicht. Das verhinderte zum Beispiel eine Mobilisierung über soziale Netzwerke. Vereinzelt zeigten Demonstranten kleine Plakate mit Kritik an der Wahlkommission, die Opposition willkürlich auszuschliessen.

Moskau rüstet sich bereits für neue Grosskundgebungen. Das Bürgermeisteramt bewilligte am Freitagabend zwei Kundgebungen für je 100.000 Teilnehmer am 10. und 11. August für faire und freie Wahlen. Die Proteste richten sich auch gegen Behördenwillkür in Russland.

Reaktionen aus Deutschland

Vom Auswärtigen Amt in Berlin hiess es am Sonntag: «Die Festnahmen standen in keinem Verhältnis zum friedlichen Charakter der Proteste.» Die wiederholten Eingriffe in das verbürgte Recht auf friedliche Versammlung und freie Meinungsäusserung verstiessen gegen Russlands internationale Verpflichtungen und stellten das Recht auf freie, faire Wahlen nachdrücklich in Frage.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin befand einer in Berlin veröffentlichten Mitteilung zufolge: «Der Kreml setzt seinen Kurs der Einschüchterung fort.» Dagegen sagte Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin der Agentur Tass zufolge: Viele Teilnehmer hätten keinen Bezug zu Moskau und noch weniger zu den Wahlen des Moskauer Stadtparlaments gehabt. Er schlussfolgerte: Das sei alles nicht zum Wohle der Menschen, sondern zum Zwecke der politischen Täuschung.

Besorgt über Moskaus Vorgehen vor der Regionalwahl haben sich auch Mitglieder der deutsch-russischen Parlamentariergruppe im Bundestag geäussert. Unter der Betreffzeile «Freie Wahlen und Freiheit des Mandats» mahnten fünf Vize-Vorsitzende der Gruppe in einem Brief an, dass zu einer freien Wahl gehöre, «dass alle kandidieren können, die die Voraussetzungen hierfür erfüllen». Sie hätten «Zweifel, dass die Gründe für die Nichtzulassung durch den Wahlprüfungsausschuss Moskau in jedem einzelnen Fall einer freien und fairen Überprüfung standhalten würde», schrieben die Abgeordneten.

Nach Ansicht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International haben die russischen Behörden mit ihrem harten Durchgreifen Menschenrechte und den Gedanken des friedlichen Protests verachtet. Festgenommene Demonstranten müssten sofort freigelassen werden, forderte eine Sprecherin der EU-Aussenbeauftragten Federica Mogherini. Die Opposition dürfe nicht zum Schweigen gebracht werden. Eine Solidaritätskundgebung in der nordrussischen Stadt St. Petersburg verlief dagegen ohne grössere Zwischenfälle.

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