Schicksalswahl in Frankreich bringt mehr Menschen an die Wahlurnen
Bei den Neuwahlen in Frankreich gibt es überraschend eine wesentlich höhere Wahlbeteiligung als bei den Wahlen im Jahr 2022.
Mit einer überraschend hohen Wahlbeteiligung geht die erste Runde der vorgezogenen Parlamentswahl in Frankreich auf die Zielgerade. Bis 17.00 Uhr gaben 59,39 Prozent der eingeschriebenen Wählerinnen und Wähler ihre Stimme ab, wie das Pariser Innenministerium mitteilte. Das sind knapp 20 Prozentpunkte mehr als zum gleichen Zeitpunkt bei der vorangegangenen Parlamentswahl vor zwei Jahren.
Bereits der Zwischenwert liegt über der Gesamtwahlbeteiligung 2022 von 47,51 Prozent. Die Wahllokale waren noch bis 20.00 Uhr geöffnet. Danach konnten Hochrechnungen zum Wahlausgang erstellt werden.
Die Sicherheitskräfte in Frankreich haben sich darauf eingerichtet, dass es bereits am Abend der ersten Wahlrunde in einigen Grossstädten des Landes zu Unruhen kommen könnte.
Machtwechsel in Paris möglich
Die rund 49,3 Millionen Wahlberechtigten können darüber abstimmen, ob auch künftig das Mitte-Lager von Staatschef Emmanuel Macron die Mehrheit in der Nationalversammlung haben wird und damit die Regierung stellt. Andernfalls steht ein Machtwechsel in Paris an und Premierminister Gabriel Attal muss das Feld räumen.
Macron hatte die Nationalversammlung nach der klaren Schlappe seiner Liberalen bei der Europawahl und dem haushohen Sieg des rechtsnationalen Rassemblement National (RN) aufgelöst und Neuwahlen der französischen Parlamentskammer in zwei Durchgängen angekündigt. Die zweite und entscheidende Wahlrunde ist am 7. Juli. Um Macrons Präsidentenamt geht es bei dem Votum nicht.
Umfragen sehen Rechtsnationale vorne
Staatschef Macron hofft, bei dem Votum die relative Mehrheit seines Mitte-Lagers in der Nationalversammlung auszubauen. Es gilt jedoch als unwahrscheinlich, dass ihm das gelingt. Umfragen sahen Macrons Kräfte in der ersten Wahlrunde am Sonntag mit 20 bis 20,5 Prozent nur auf Platz drei. Auf Platz eins lag demnach das rechte Rassemblement National mit 36 bis 36,5 Prozent gefolgt vom Linksbündnis mit 29 Prozent.
Das RN von Marine Le Pen malt sich bereits Chancen auf eine Mehrheit in der Parlamentskammer und den Posten des Premierministers aus. Auch das neue Linksbündnis aus Grünen, Sozialisten, Kommunisten und Linkspartei strebt einen Regierungswechsel an.
Stichwahlen am 7. Juli vielerorts entscheidend
Wie genau das Parlament nach der Wahl aussehen wird, ist ungewiss. Die wenigsten der 577 Sitze werden im ersten Durchgang vergeben. Entscheidend sind in vielen Wahlkreisen die Stichwahlen in der zweiten Runde. Während bei der regulären Parlamentswahl vor zwei Jahren gerade einmal fünf Sitze in der ersten Runde errungen wurden, könnten dem Umfrageinstitut Ipsos zufolge dieses Mal bereits 80 bis 90 Sitze direkt gewonnen werden. Grund dafür wäre die erwartete höhere Wahlbeteiligung und eine stärkere Konzentrierung auf die drei politischen Bündnisse.
Auch wenn Aussagen über die zweite Runde schwierig sind, gehen Prognosen davon aus, dass die Rechtsnationalen stärkste Kraft in der Nationalversammlung werden könnten. Ob es auch für eine absolute Mehrheit reichen könnte, ist unklar – auch, weil zwischen den beiden Wahlrunden oft lokal Bündnisse geschlossen werden, die den Ausgang beeinflussen. Während die Linken stabil bleiben könnten, dürfte Macrons Mitte-Lager Sitze verlieren.
Sieg der Rechten hätte auch international Konsequenzen
Ein solcher Ausgang hätte schwerwiegende Folgen. Die Nationalversammlung ist eine von zwei französischen Parlamentskammern. Sie ist an der Gesetzgebung beteiligt und kann per Misstrauensvotum die Regierung stürzen. Sollte ein anderer Block als Macrons Mitte-Lager die absolute Mehrheit erlangen, wäre Macron de facto gezwungen, einen Premier aus dessen Reihen zu ernennen. Es gäbe dann eine sogenannte Kohabitation. Macrons Macht würde deutlich schrumpfen, der Premier würde wichtiger.
Die Rechtsnationalen setzen explizit darauf, die Wahl zu gewinnen und Regierungsverantwortung zu übernehmen. RN-Parteichef Jordan Bardella soll Premierminister werden. In einem solchen Szenario hätte Macron Schwierigkeiten, seine Linien international durchzusetzen. Auch in Brüssel und Berlin wird die Wahl daher mit Spannung verfolgt.