Selenskyj: Ukraine kein Puffer zwischen Westen und Russland
Euphorisch reagiert die ukrainische Führung auf die Zuerkennung des EU-Kandidatenstatus. Der Kreml hat eigene Erwartungen an einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine und der Republik Moldau.
Das Wichtigste in Kürze
- Nach dem Erhalt des EU-Kandidatenstatus hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj von einem Wendepunkt für sein Land gesprochen.
«Die Ukraine ist keine Brücke, kein Polster zwischen dem Westen und Russland, kein Puffer zwischen Europa und Asien, keine Einflusssphäre, keine graue Zone, kein Transitland», sagte der 44 Jahre alte Staatschef in einer am Freitag veröffentlichten Videoansprache. Die Ukraine sei ein «zukünftiger gleichrangiger Partner für mindestens 27 EU-Länder.» Die Ukraine sei kein «Drittland» mehr, sondern werde Mitglied der Europäischen Union.
Im selben Video sprach Parlamentschef Ruslan Stefantschuk davon, dass diese Entscheidung die Geschichte ändern werde. Der 46-Jährige sagte: «Wir können die Geografie nicht ändern. Russland wird weiter unser Nachbar bleiben.» Doch habe die Geschichte in diesem Fall die Geografie besiegt.
Regierungschef: «Zugang zu finanziellen Hilfsprogrammen der EU»
Regierungschef Denys Schmyhal betonte anschliessend die neuen Perspektiven der Ukraine durch ihren Status als Beitrittskandidat: Kiew erhalte nun «Zugang zu neuen finanziellen Hilfsprogrammen der EU». Der 46-Jährige weckte Hoffnungen auf neue Investitionen und Arbeitsplätze. «Von nun an wird unser Staat nicht nur die europäische Erfahrung übernehmen, sondern kann auch Einfluss auf die Industriepolitik der Europäischen Union nehmen», unterstrich er. Der Integrationsprozess der Ukraine sei unumkehrbar.
Am Donnerstag hatte der Gipfel der Staats- und Regierungschefs der EU dem osteuropäischen Land, das seit vier Monaten russische Angriffe abwehrt, in einer ausserordentlichen Entscheidung den Status eines EU-Beitrittskandidaten zugestanden.
Kreml: EU-Beitritt darf nicht zulasten Russlands gehen
Der Kreml macht für einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine und der Republik Moldau zur Bedingung, dass sich deren Beziehungen gegenüber Russland nicht weiter verschlechtern. Zwar sei die Verleihung des Kandidatenstatus an die beiden Ex-Sowjetrepubliken zunächst eine «innereuropäische Angelegenheit», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. «Für uns ist es sehr wichtig, dass diese Prozesse weder uns noch den Beziehungen mit den genannten Ländern noch mehr Probleme bescheren.»
Zudem müsse sichergestellt werden, dass sich im Zuge der Annäherung der Ukraine und Moldaus an die EU nicht die Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union weiter verschlechterten, sagte Peskow. «Sie sind auch so schon reichlich verdorben.»
Der Kremlsprecher kritisierte in diesem Zusammenhang auch die moldauische Führung: Diese versuche, um den Kandidatenstatus zu rechtfertigen, Massnahmen gegen Russland zu ergreifen. «Ihnen scheint wohl, je russenfeindlicher sie sind, umso mehr müssten sie den Europäern gefallen», sagte Peskow.
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich die Republik Moldau offiziell neutral erklärt und sich bislang auch nicht an den westlichen Sanktionen gegen Russland beteiligt, von dessen Gaslieferungen die Republik immer noch stark abhängig ist.
Zugleich wachsen in Chisinau Befürchtungen, dass Moskauer Truppen unter Verweis auf die angebliche Unterdrückung der russischsprachigen Bevölkerung auch das eigene Land angreifen. In Moldau gibt es mit Transnistrien eine Konfliktregion, in der bereits seit den 1990er Jahren de facto ein prorussisches Separatistenregime herrscht.