Das Büro stirbt nicht aus
Zahlreiche Büros in Deutschland sind seit Beginn der Corona-Krise weitgehend verwaist. Doch Homeoffice bedeutet nicht das Ende des Büros.
Das Wichtigste in Kürze
- Ungeachtet des coronabedingten Trends zur Arbeit daheim wird das Büro in absehbarer Zeit nicht aus dem Arbeitsalltag in Deutschland verschwinden.
Zwar haben die Unternehmen seit dem Frühjahr wesentlich weniger neue Büros angemietet als vor der Pandemie, doch einen flächendeckenden Trend zur Kündigung von Büromietverträgen gibt es nicht. Ökonomen, Makler und Unternehmensberater gehen zwar davon aus, dass Corona langfristige Auswirkungen auf den Arbeitsalltag haben wird - doch wie diese aussehen könnten, ist bislang nicht klar erkennbar.
Im zweiten und dritten Quartal haben die deutschen Unternehmen nach Marktdaten des grossen internationalen Maklers Savills in den sieben grössten Städten jeweils nur noch halb so viel neue Bürofläche angemietet wie im langjährigen Durchschnitt. Statt einer Million wurde demnach nur eine halbe Million Quadratmeter pro Quartal neu vermietet. «Gerade die grossen Unternehmen halten sich mit Anmietungen zurück, die einzige Ausnahme ist die öffentliche Hand», sagt Matthias Pink, Chef der Marktbeobachtung bei der deutschen Tochter des britischen Unternehmens.
Doch bedeutet dies, dass Unternehmen nun flächendeckend keine Büros mehr brauchen? Keineswegs: «Viele Unternehmen bevorzugen aktuell eine Verlängerung ihrer aktuellen Mietverträge», sagt Pink. «Die Leerstandsquote ist zwar das erste Mal seit 2010 gestiegen, aber nur geringfügig. In den Top-Sieben-Städten ist aktuell sogar mehr Bürofläche vermietet als zu Anfang des Jahres.»
Denn umgekehrt haben auch die Vermieter derzeit wenig bis kein Interesse, Gewerbemietern zu kündigen, sogar wenn diese in finanziellen Schwierigkeiten sein sollten. Die Suche nach Nachmietern wäre derzeit schwierig. «Kurzfristig geht es eher den Vermietern beziehungsweise Eigentümern von Gewerbeimmobilien um die Stabilisierung, darum durchzuhalten, bis wir zurück in einer «neuen Normalität» sind», sagt Finanzmarktexperte Philipp Wackerbeck von Strategy&, der Unternehmensberatung der internationalen WirtschaftsprüfergesellschafT PwC.
«Man tut als Vermieter beziehungsweise Eigentümer alles, um den Bestand zu erhalten, auch wenn das Einschränkungen bei den Mieteinnahmen bedeutet. Viele Immobilien in Deutschland sind solide finanziert, deswegen kann man das eine Zeit lang aushalten.»
Und wie sieht es langfristig aus? Manch einer munkelt bereits, das Büro sei ein altmodischer Arbeitsplatz der Vergangenheit, quasi zum Aussterben verurteilt. «Das Thema wird heiss diskutiert, aber die Wahrheit ist: Wir wissen es alle nicht», sagt Wirtschaftsforscher Ralph Henger vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln.
Ein prominentes Grossunternehmen, das auch nach Corona dauerhaft einen Teil seiner Mitarbeiter im Homeoffice beschäftigen will, ist Siemens. Zielvorstellung ist, dass Büroangestellte künftig zwei bis drei Tage pro Woche daheim arbeiten können. Ob Siemens aber künftig weniger Bürofläche benötigt, lässt sich nicht abschätzen, wie ein Sprecher der Immobiliengesellschaft des Münchner Dax-Konzerns sagt.
Eine Frage, die nicht nur Siemens umtreibt: «In Zukunft brauchen viele Firmen möglicherweise weniger Bürofläche, weil die Mitarbeiter mehr und mehr von zu Hause arbeiten», sagt Unternehmensberater Wackerbeck. «Allerdings wird das nicht im Verhältnis eins zu eins möglich sein, weil man Mitarbeiter auch nach der Pandemie wahrscheinlich auf grössere Büros verteilt als vorher. Man braucht vielleicht wieder mehr Fläche pro Mitarbeiter, um Abstandsregeln und dergleichen einzuhalten.»
Bisher habe noch niemand die langfristigen Gesamteffekte vollständig analysiert. «Büro ist nicht Büro, es hängt auch von der Lage ab», sagt Wackerbeck. «Immobilien, und zwar sowohl Büros als auch Wohnimmobilien, werden in den A-Lagen wertstabiler sein als in B- und C- Lagen.»
Die Nachfrage nach Büros habe in den vergangenen ein, zwei Monaten sogar wieder angezogen, sagt Ökonom Henger vom IW Köln. «Das Thema Homeoffice kann in der Zukunft wichtig werden, bislang zeigt es aber kaum Wirkung.» Viele Unternehmen könnten ihre Arbeit aus organisatorischen Gründen nicht von heute auf morgen verlagern.
Auch die Psychologie spielt eine Rolle. Traditionelle Vorbehalte, dass die Belegschaft daheim faulenzen könnte, sind nicht über Nacht verschwunden. Manche Unternehmen wollten gar nicht so flexibel sein, meint Henger dazu. «Die sehen ihre Mitarbeiter am liebsten im Büro.» Wie sich die Nachfrage nach Büros im nächsten und übernächsten Jahr entwickeln werde, sei offen. «Der zentrale Faktor ist die Konjunkturentwicklung.»
Die Pandemie wird also aller Voraussicht nach durchaus einen langfristigen Effekt auf die Arbeitsorganisation haben - aber Genaueres lässt sich noch nicht sagen. «Es wird sich etwas ändern, aber der Anpassungsprozess wird viele Jahre dauern», meint Savills-Experte Pink. «Die wichtigere Frage: Was für eine Art Büro brauchen wir in der Zukunft und wo?»