Ukraine-Krieg: Ankündigung von Angriffen ist gefährlich
Der «grösste Schlag» der ukrainischen Gegenoffensive soll erst bevorstehen. Ein Experte erklärt, warum solche Ankündigungen im Ukraine-Krieg schaden könnten.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Ukraine holt offenbar zum «grössten Schlag» ihrer Gegenoffensive aus.
- Strategie-Experte Stahel hält es für möglich, dass die Angriffe «sehr bald» stattfinden.
- Die Ankündigung solcher Offensiven hält er allerdings für problematisch.
Die ukrainische Gegenoffensive im Ukraine-Krieg hat begonnen. Wolodymyr Selenskyj zufolge mussten die Streitkräfte bisher keine Geländeverluste hinnehmen. Am Montag sagte er: «Wir haben keine Positionen verloren, nur befreit.»
Die Militäroperation sei schwierig, aber die Ukraine schreite wie geplant voran, so die ukrainische Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar auf Telegram. Der «grösste Schlag» soll aber erst noch kommen, heisst es.
Ist das nur heisse Luft, oder ist an der Ankündigung tatsächlich etwas dran? Nau.ch hat beim Militär- und Strategie-Experten Albert A. Stahel nachgefragt.
Russische Front soll zerschlagen werden
Er sagt: «Ich denke, dass ein beziehungsweise zwei grössere Angriffe mit mehreren Brigaden an zwei Orten sehr bald stattfinden könnten.» Dabei sei die Unterstützung durch Himars-Mehrfachraketenwerfer und die von Grossbritannien gelieferten Luft-Boden-Flugkörper des Typs Shadow zentral.
Das Ziel: Die Zerschlagung und das Aufrollen der russischen Front bei Bachmut beziehungsweise Saporischschja.
Allerdings sieht der Experte ein Problem in der ukrainischen Ankündigung bevorstehender Angriffe im Ukraine-Krieg.
Denn: «Diese Ankündigung dürften der russischen Kriegführung ermöglicht haben, einen beziehungsweise zwei Vernichtungsschläge mit weitreichenden ballistischen Flugkörpern vorzubereiten.»
Bereits am Montag reagierte Russland dem Institute for the Study of War (ISW) zufolge auf ukrainische Offensivoperationen. Die Russen feuerten Drohnen und Raketen auf die Südukraine ab.
NEW: #Ukrainian forces conducted #counteroffensive operations in at least three sectors of the frontline and made gains on June 19.#Russian forces conducted drone and missile strikes targeting southern #Ukraine.
— Institute for the Study of War (@TheStudyofWar) June 20, 2023
19 June campaign assessment: https://t.co/3robs0F5GW pic.twitter.com/SyqvVUvbT7
Russland verfügt laut Stahel nach wie vor über ein «sehr grosses» Arsenal an Boden-Boden-Flugkörpern. Diese hätten teils eine Reichweite von über 5500 Kilometern. Der Experte erklärt: «Die Zerschlagung der ukrainischen Angriffe durch Feuerschläge mit konventionellen Gefechtsköpfen wäre ein politisches, militärisches und psychologisches Desaster für die Ukraine.»
Russen könnten im Ukraine-Krieg Kommunikationsstruktur vernichten
Neben den Feuerschlägen gebe es aber aus russischer Sicht noch weitere Möglichkeiten, auf Angriffe zu reagieren: unter anderem die Vernichtung der ukrainischen Führungs- und Kommunikationsstruktur durch einen nuklearen elektromagnetischen Impuls (NEMP).
Eine Explosion eines nuklearen Gefechtskopfes in grosser Höhe für die Auslösung eines NEMP würde dem Experten zufolge dafür ausreichen. Er fügt hinzu: «Diese Explosion könnte durch die Nato nicht als erster Schritt zum Nuklearkrieg interpretiert werden.»
Ein weiteres Problem in der ukrainischen Kriegsführung sei nach wie vor das Fehlen moderner Kampfflugzeuge. Mit diesen könnten die Ukrainer über dem Gefechtsfeld die Luftüberlegenheit erringen.
«Meine Beurteilung des Erfolges der Ukrainer: 50 zu 50», hält Stahel fest.