Ukraine Krieg: Demos in Russland – das droht den Festgenommenen
Fast 15'000 Russen wurden bisher an Demonstrationen gegen den Ukraine Krieg festgenommen. Was erwartet sie? Osteuropa-Expertin Julia Richers erklärt.
Das Wichtigste in Kürze
- In Russland wurden fast 15'000 Personen bei Demonstrationen gegen den Krieg verhaftet.
- Julia Richers, Expertin für Osteuropa, erklärt, was mit den Festgenommenen geschieht.
- Das Strafmass sei oftmals willkürlich festgelegt.
Es gibt mutige Russinnen und Russen, die gegen den Ukraine-Krieg auf der Strasse demonstrieren. Sie tun dies trotz der Gefahr, festgenommen zu werden. Die Sicherheitskräfte zeigen wenig Skrupel: Egal, ob Kinder oder Seniorinnen – vor einer Festnahme ist niemand gefeit.
Die Demos gehen weiter, täglich steigt die Zahl der Festgenommenen an. Laut russischen Menschenrechtsorganisationen und dem Portal «OVD-Info» sind fast 15'000 Demonstrierende verhaftet worden. Das ist ein halbes Wankdorf-Stadion.
Das Strafmass liegt im Auge des Betrachters
Die Frage stellt sich: Was droht den inhaftieren Russinnen und Russen? «Demonstrationen gegen den Ukraine-Krieg werden häufig als Ordnungswidrigkeit eingestuft», erklärt Julia Richers, Expertin für Osteuropa-Studien an der Universität Bern gegenüber Nau.ch. Dies gelte trotz Versammlungsfreiheit, so Richers.
«Welche Strafe bei Störung der öffentlichen Ordnung droht, liegt oftmals im Auge des Betrachters», erklärt die Historikerin. Das Zusammenspiel zwischen Polizei und Haftrichter sei dabei sehr eng. «Die demokratischen Elemente der Gewaltentrennung wurden weitgehend ausgehebelt.»
Richers erklärt: «Den Verhafteten droht bei einer Verhaftung bis zu 15 Tage Haft, oder eine Geldbusse von umgerechnet 200 bis 400 Franken.» Das tönt nach wenig, ist es nicht. Dies entspreche in Russland oftmals einem Monatslohn.
«Ukraine-Krieg»: Das verbotene Wort
Laut der Expertin existiere eine breite Palette an Konsequenzen: «Manche Demonstranten werden nach einigen Tagen – oder sogar direkt nach der Einvernahme – wieder freigelassen. Viele kommen mit einer Busse weg.» Besonders bei älteren Personen sei eine Geldstrafe nutzlos. Die Rente sei schlicht zu gering, um eine Busse zu bezahlen.
Die Verschärfung des Strafgesetzes sorgt weltweit für Aufsehen, auch Richers bezeichnet sie als «sehr problematisch». Bei Verleumdung von Militäraktionen oder Verbreitung von Falschinformationen drohen hohe Strafen. Wer beispielsweise ein Schild «Nein zum Krieg» hochhält, müsse mit einer Busse von über 400 Franken oder Haft rechnen.
Die Geldstrafen oder Haftstrafen könnten aber auch viel höher gehen, erklärt Richers. Das treffe dann oftmals Aktivisten, die gegen den Ukraine-Krieg demonstrieren. Auch hier ist viel Willkür im Spiel.
Es könne auch vorkommen, dass für bekennende Anti-Kriegsgegner ein Haftbeschluss von 15 (!) Jahren festgelegt werde. Nämlich dann, wenn nachgewiesen werden könne, dass die Äusserungen gegen das russische Militär massive Konsequenzen haben. Auch das liege wiederum im Auge des Betrachters, betont Richers.
Russisches Gefängnis bedeutet arbeiten
Man müsse differenzieren: Wenn es um Demonstrationen gegen die humanitäre Lage in der Ukraine geht, gilt der altbewährte Artikel der Ordnungswidrigkeit. Wenn sich der Protest jedoch auf den Ukraine-Krieg oder das Militär beziehe, droht längere Haft.
Das Gefängniswesen in Russland sei sehr komplex. «Während sogenannte Straflager bei uns nur im Kriegskontext bekannt sind, sind diese in Russland normal.» Diese werden Straf- und Besserungsarbeitskolonien genannt. Wer in Russland in Haft sei, der müsse in jedem Fall arbeiten.