Ukraine-Krieg: Drei Experten ziehen nach einem Jahr Bilanz

Carine Meier
Carine Meier

Ukraine,

Heute, am 24. Februar, ist es genau ein Jahr her, dass Russland mit seiner Invasion den Ukraine-Krieg gestartet hat. Drei Experten blicken bei Nau.ch zurück.

Ukraine-Krieg
Ein ukrainischer Soldat in einem Schützengraben. Foto: Andriy Dubchak/AP/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Am 24. Februar 2022, vor genau einem Jahr, marschierte Russland in die Ukraine ein.
  • Drei Experten erklären gegenüber Nau.ch die aktuelle Situation und blicken zurück.

Vor genau einem Jahr marschierte Russland in die Ukraine ein. Seit genau einem Jahr verteidigt sich das Land gegen die Invasoren. Inzwischen hat der Ukraine-Krieg tausende Todesopfer gefordert, Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer sind geflüchtet.

Schon vor sechs Monaten haben Experten bei Nau.ch erklärt, wie der Krieg in ihren Augen enden könnte. Nun sagen sie, was sich seither geändert hat, und wie es jetzt weitergeht.

Nau.ch: Wie ist aktuell die Situation im Ukraine-Krieg?

Ulrich Schmid, Russland-Experte an der Universität St. Gallen: «Beide Seiten haben sich im Donbass eingegraben und erleiden in einem Stellungskrieg hohe Verluste. Ein Sieg ist für keine der beiden Seiten in Sicht.»

Andreas Heinemann-Grüder, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn (D): «Seit einem halben Jahr wird ein Abnutzungskrieg geführt. Keine Seite kann mehr Offensiven vornehmen oder diese gewinnen.»

Albert Stahel, Sicherheits- und Strategieexperte: «Im Osten herrscht ein Stellungs- und Abnützungskrieg. Das Hauptproblem für die ukrainischen Streitkräfte ist der Schwund der Artilleriemunition und -Lenkwaffen. Dennoch sind die Geländegewinne der russischen Brigaden bis anhin minim.»

Nau.ch: Was hat sich gegenüber der ersten sechs Monate Ukraine-Krieg geändert?

Schmid: «Die breit angelegte Offensive der Russen zu Beginn des Kriegs ist gescheitert und wird auch nicht wiederholt werden können.»

Heinemann-Grüder: «Geändert hat sich vor allem, dass die Ukraine jetzt über schwere Waffen verfügt. Die Russen sind in diesem Bereich nicht mehr überlegen und müssen dies durch die Masse der einfachen Soldaten kompensieren.»

Glauben Sie an ein baldiges Ende des Ukraine-Kriegs?

Stahel: «Russland hat den strategischen Luftkrieg intensiviert. Dadurch wird die Infrastruktur der Ukraine zunehmend zerstört.»

Nau.ch: Wie entwickelt sich der Ukraine-Krieg weiter – und wie könnte er enden?

Schmid: «Es wird in den nächsten Monaten eine Grossoffensive der Russen geben. Sie werden versuchen, mindestens die Territorien der Anfang Oktober annektierten Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischja und Cherson zu erobern. Sie stehen auch unter Zeitdruck, weil sie den Kampfpanzerlieferungen des Westens zuvor kommen wollen.»

Heinemann-Grüder: «Keine der beiden Seiten kann den Stillstand akzeptieren. Es wird wieder mehr brutale Städtekämpfe geben, die durch den unmittelbaren Kontakt mehr Opfer fordern. Die Russen werden ukrainisch kontrollierte Städte in den annektierten Gebieten wie Kramatorsk oder Cherson wieder erobern wollen.»

Stahel: «Allein der russische Präsident Wladimir Putin kann über das Ende des Krieges entscheiden. Solange es dies nicht tut, wird der Krieg weitergehen.»

Nau.ch: Welche Momente sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Schmid: «Das Massaker in Butscha und die Zerstörung von Mariupol im Frühling haben deutlich gezeigt, wie brutal die russische Armee vorgeht. In den letzten sechs Monaten war es die ukrainische Gegenoffensive bei Charkiw im September. Sie hat gezeigt, wie stark der Widerstandswillen der Ukrainer ist.»

Heinemann-Grüder: «Die Erzählung einer ukrainischen Kollegin über ihre Grossmutter, die auf die Strasse wollte, weil sie dachte, es gäbe ein Salutschiessen. Die Nachbarn stoppten sie. Erst später verstand sie, dass tatsächlich Krieg herrscht.»

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