Ukraine-Krieg: Gegenoffensive setzt auf Abnutzung der Reserven
Die Gegenoffensive im Ukraine-Krieg hat sich zu einem Abnutzungskampf entwickelt. Welcher Seite geht als erstes die Kraft aus?
Das Wichtigste in Kürze
- Bei der Gegenoffensive wollte die Ukraine schnell die Front durchstossen.
- Doch stattdessen wird nun aufgrund von Minen um jeden Meter hart gekämpft.
- Der Ukraine-Krieg entwickelt sich zu einem Abnutzungskampf.
Gewaltige Explosionen haben den Südosten der seit 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim erschüttert. Nahe der Hafenstadt Feodossija brennt seit Tagen ein riesiges Munitionsdepot. Russische Militärblogger berichten, dass die Ukrainer das Arsenal mit Raketen in Brand geschossen haben.
Die Explosionen werden «noch lange andauern und nicht nur in dieser Anlage«, sagte die Sprecherin des ukrainischen Heereskommandos Süd. «Denn wir haben die «Knall»-Saison angekündigt, wir setzen sie fort, wir sehen mit unverhohlener Freude zu, wie sie «blüht».» Dies scheint eine indirekte Bestätigung der russischen Anschuldigungen.
Langsames Tempo
Der Angriff zielt auf die Logistik der russischen Truppen im Hinterland. Das angegriffene Munitionsdepot liegt mehr als 200 Kilometer von der Front entfernt. Kiew setzt rund sieben Wochen nach Beginn der ukrainischen Gegenoffensive wieder verstärkt auf dieses Element: Es zeugt auch davon, dass es im Kampfgebiet nicht so rasch vorangeht, wie es sich die ukrainische Führung erhofft hatte.
Seit Anfang Juni haben die Ukrainer laut Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar 210 Quadratkilometer eigenen Bodens befreit. Zum Vergleich: Russland hält einschliesslich der Krim mehr als 100'000 Quadratkilometer ukrainischen Territoriums besetzt.
Bei diesem Tempo würde die Rückeroberung aller Gebiete mehr als 60 Jahre in Anspruch nehmen. Die geringfügigen Geländegewinne, die die Russen gleichzeitig im Nordosten der Ukraine gemacht haben, wurden dabei wahrscheinlich noch gar nicht gegengerechnet.
Minen gelten als Hauptproblem
Ausgebremst werden die Ukrainer durch ausgedehnte Minenfelder, die von Artillerie und gut verschanzter Infanterie bewacht werden. Die Schwierigkeiten zeigte Ende Juni ein Drohnenvideo der 47. Brigade.
Es wurde vom ukrainischen Militärkorrespondenten Jurij Butussow verbreitet. Darauf ist eine Detonation einer Feldmine zu sehen – und wie sie einen Soldaten grausamst verletzt.
Nach einem heftigen Sturm der Entrüstung in den sozialen Medien löschte Butussow das Video wieder. Doch hat es auch gezeigt, welche Opfer die Gegenoffensive den ukrainischen Soldaten abverlangt.
Der durch die Minenfelder erzwungene Stellungskrieg beraubt sie ihres grössten Vorteils im Krieg: Beweglichkeit. Stattdessen gehen die Ukrainer langsam und methodisch vor. Artilleriefeuer auf ihre Infanteristen beantworten Kiews Streitkräfte mit dem Beschuss der dadurch aufgedeckten feindlichen Stellungen.
Gegen einen ausgeruhten und gut ausgerüsteten Gegner hätte ein Frontalangriff wenig Aussicht auf Erfolg. Die Verteidiger sind im Vorteil.
Auch Russland kämpft mit Problemen
Doch die Russen haben ihre eigenen Probleme, angefangen bei der Führung. Kremlchef Wladimir Putin hat seinen Angriffskrieg vor 17 Monaten in völliger Selbstüberschätzung mit zu wenig Truppen begonnen. Nach den Niederlagen im Herbst war Moskau zu einer eiligen Teilmobilmachung gezwungen. Trotzdem ist die nach eigenem Bekunden «zweitstärkste Armee der Welt» an vielen Frontabschnitten in Unterzahl.
Zu einem Skandal führte die Klage von General Iwan Popow von der in Saporischschja kämpfenden 58. Armee: Den eigenen Truppen fehle es an Artillerieaufklärung. Vor allem aber auch an Rotation, um abgekämpften Einheiten die Möglichkeit zur Erholung und Auffüllung zu geben.
Russische Militärbeobachter bestätigen Popows Kritik. Die Einheiten sind stark dezimiert und überlastet. Die Versorgung ist mangelhaft – auch weil die Nachschubwege immer wieder beschossen werden.
Erst in den nächsten zwei bis drei Wochen wird sich herausstellen, welcher Seite zuerst die Reserven ausgehen. Gut möglich, dass den Ukrainern irgendwann die Kräfte schwinden.