Umgang mit den Kriegsfolgen: Entlastung bei Lebensmitteln?
Agrarprodukte machten 2019 fast die Hälfte der ukrainischen Exporte aus. Der Krieg gegen das Land hat deswegen auch Auswirkungen auf den globalen Markt. Mit Folgen - auch für deutsche Supermärkte.
Das Wichtigste in Kürze
- Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat wegen steigender Lebensmittelpreise in Folge des Ukraine-Kriegs Entlastungen ins Gespräch gebracht.
«Deshalb muss man schon fragen, ob eine Entlastung hier nicht zielgerichteter ist als beim Benzinpreis und allen zugutekommt, insbesondere denjenigen, die wirklich Not leiden», sagte der Grünen-Politiker dem «Spiegel».
Jeder muss sich ernähren
Nicht jeder besitze ein Auto oder sei darauf angewiesen, aber jeder müsse sich ernähren. Özdemir betonte, dass mögliche Zuschüsse gezielt erfolgen müssten: «Wir können nicht mit dem Füllhorn durchs Land gehen, sondern müssen zielgerichtet helfen». Er gehe davon aus, dass manche Lebensmittel wegen des Krieges teuer werden, und warnte Verbraucherinnen und Verbraucher vor sogenannten Hamsterkäufen. «Das würde erst recht dafür sorgen, dass die Preise durch die Decke schiessen und die Händler gewisse Produkte rationieren.» Die Ukraine produziert jede Menge Weizen, aber auch andere Produkte wie Mais, Sonnenblumen, Raps, Gerste und Roggen.
Die Folgen des Krieges machen sich langsam auch in deutschen Supermärkten bemerkbar. Zwar ist die Versorgung mit Lebensmitteln sicher, aber wie jüngst das Beispiel Aldi zeigte, werden Auswirkungen auf Preise sichtbar. Der Discounter erhöhe zurzeit die Preise auf breiter Front und gebe damit die Preisanhebungen der Hersteller infolge der Corona-Krise und des Ukraine-Krieges an die Kunden weiter, berichtete das Branchenfachblatt «Lebensmittel Zeitung» am Donnerstag. Insgesamt sind nach Recherchen des Fachblatts rund 400 Artikel betroffen. Eine derartige Preisehöhungswelle habe es seit Jahren nicht mehr geben.
Rohstoffverfügbarkeit dramatisch verändert
«Der Krieg gegen die Ukraine verändert die globale Rohstoffverfügbarkeit dramatisch», sagte Henning Ehlers, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Raiffeisenverbands (DRV). Raps- und Sojafuttermittel aus Russland und der Ukraine, die in die Lebensmittelproduktion «ohne Gentechnik» flössen, stünden für längere Zeit nicht mehr zur Verfügung stehen.
Nun stehen unterschiedliche Konzepte im Raum, wie man auf die geänderte Marktlage reagieren sollte. Der sozialpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, René Springer, fordert, die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel auszusetzen. Andere Stimmen, vor allem aus der Union und aus Interessensverbänden der Landwirtschaft, sehen den Ball in Brüssel und plädieren dafür, Umweltregeln zurückzustellen und damit die Produktion von Lebensmitteln anzukurbeln.
Sollten Brachflächen wegfallen?
Die Heinrich-Böll-Stiftung sieht hingegen nur einen geringen Nutzen, sollte die EU versuchen, mehr Lebensmittel durch weniger Umweltauflagen zu produzieren. Hintergrund der am Freitag veröffentlichten Kurzanalyse ist die Debatte um den Plan, künftig vier Prozent der Ackerfläche in der EU nicht mehr aktiv zu bewirtschaften, sondern für ökologische Zwecke einzusetzen. Das können zum Beispiel Brachflächen oder auch Blühstreifen für den Artenschutz sein.
Die den Grünen nahestehende Stiftung geht davon aus, dass sich die weltweite Produktionsmenge von Getreide um 0,4 Prozent steigern liesse, wenn man diese Flächen doch weiter bewirtschaften würde. Der Weltmarktpreis könnte um 0,4 bis 2,2 Prozent gesenkt werden. Sie betonte, dass ihre Berechnungen für die Produktionssteigerung eher zu hoch ausfielen, da Begrenzungen wie Arbeitskräfte- oder Wassermangel nicht einbezogen worden seien. Wenn in der EU hingegen wie geplant Flächen nicht mehr genutzt würden, kommt die Stiftung auf eine Steigerung des Weltmarktpreises für Getreide um 0,1 bis 0,6 Prozent.
Es drohen Preissteigerung von 20 Prozent
Die Auswirkungen durch den Krieg selbst könnten den Angaben zufolge im schlimmsten Fall bis zu 20 Prozent Preissteigerung bedeuten, im besten Fall 2,5 Prozent. Hilfreicher als die Flächenstilllegung zurückzudrehen, seien Finanzhilfen für die Länder des globalen Südens, damit sich diese auch teurere Lebensmittel kaufen könnten, so das Fazit der Stiftung.
Angesichts des Krieges im wichtigen Getreideanbauland Ukraine tobt eine Auseinandersetzung über die EU-Agrarpolitik. So spricht sich etwa auch der französische Agrarminister Julien Denormandie für Anpassungen der Umweltregeln aus. Auf diese hatte man sich erst jüngst nach jahrelangem Ringen geeinigt. Der deutsche Ressortchef Cem Özdemir (Grüne) bezeichnete es hingegen als «Holzweg», eine umweltfreundlichere Lebensmittelproduktion zurückzudrehen. Es wird erwartet, dass die EU-Kommission nächste Woche Vorschläge zu dem Thema vorlegt.