Die Anweisung kommt von ganz oben: Die Unterhändler sollen noch einmal versuchen, sich über einen Brexit-Handelspakt einig zu werden. Unklar ist, ob sie dabei nun mehr Spielraum haben.
Der britische Brexit-Unterhändler David Frost (l) und EU-Chefunterhändler Michel Barnier nehmen ihre Beratungen wieder auf (Archiv). Foto: Olivier Hoslet/EPA Pool/dpa
Der britische Brexit-Unterhändler David Frost (l) und EU-Chefunterhändler Michel Barnier nehmen ihre Beratungen wieder auf (Archiv). Foto: Olivier Hoslet/EPA Pool/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Unter massivem Zeitdruck versuchen Grossbritannien und die Europäische Union, sich doch noch auf einen Handelspakt zu einigen.
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Er soll nach dem Ende der Brexit-Übergangsphase zum Jahreswechsel dramatische wirtschaftliche Verwerfungen auf beiden Seiten verhindern. Nach einem Telefonat auf höchster Ebene zwischen EU-Kommissionschefin von der Leyen und dem britischen Premier Boris Johnson nahmen die Unterhändler David Frost und Michel Barnier am Sonntag in Brüssel den Gesprächsfaden wieder auf. Die Aussichten auf einen Durchbruch sind allerdings getrübt - beide Seiten hatten am Samstag fundamentale Konflikte konstatiert.

Johnson und von der Leyen stellten nach ihrem rund einstündigen Telefonat am Samstagabend - wie schon so oft - «erhebliche Differenzen» fest und gaben den Staffelstab an ihre Unterhändler David Frost und Michel Barnier zurück, die am Freitagabend vorerst aufgegeben hatten. Versucht es noch einmal, wir wollen noch nicht aufgeben, so die Direktive. Unklar blieb, ob der Spielraum für Zugeständnisse nun grösser sein wird. Am Montagabend wollen die Chefs dann erneut selbst über den Stand der Dinge sprechen.

Viel steht auf dem Spiel: Sollten die Gespräche tatsächlich scheitern, drohen zum Jahreswechsel Zölle und andere Handelshürden zwischen Grossbritannien und dem Kontinent. Denn dann läuft die Brexit-Übergangsfrist aus, während der trotz des britischen EU-Austritts am 31. Januar alles beim Alten geblieben war. Die Wirtschaft auf beiden Seiten des Ärmelkanals rechnet für den Fall eines No-Deal-Brexits mit starken Verwerfungen. Befürchtet wird, dass es zu kilometerweiten Staus im Hinterland des Fährterminals in Dover und der Einfahrt in den Eurotunnel in Folkestone kommt.

Einem Bericht des «Observer» zufolge plant die britische Regierung sogar, den kürzlich in dem Land zugelassenen Corona-Impfstoff des Mainzer Unternehmens Biontech und seines US-Partners Pfizer mit Militärflugzeugen einzufliegen. Damit soll verhindert werden, dass das ersehnte Mittel dem befürchteten Verkehrschaos zum Opfer fällt. Mit Staus wird sogar im Falle eines Deals gerechnet, weil auch ohne Zölle zusätzliche Formalitäten anfallen werden.

Der frühere britische Premier Gordon Brown warnte Boris Johnson davor, die Verhandlungen platzen zu lassen. «Wir würden uns in einen ökonomischen Krieg mit Europa begeben, der uns sehr viel kosten würde», sagte der Labour-Politiker im «Sky News»-Interview. Auch mit den USA gäbe es in diesem Fall kaum Chancen auf einen Handelspakt. «Also würde Boris Johnson als isoliertester Premierminister in Friedenszeiten enden, mit keinerlei Freunden in der Welt», so Brown.

Auch der Vorsitzende der Christdemokraten im Europaparlament, Manfred Weber, warnte Johnson vor einem No-Deal. «Er würde sich an der Zukunft seines Landes versündigen, wenn er ein Abkommen scheitern lässt», sagte Weber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Gestritten wird immer noch vor allem über drei Themen: gleiche Wettbewerbsbedingungen, Fischerei und die Instrumente zur Ahndung von Verstössen gegen das geplante Abkommen. Bei den Wettbewerbsbedingungen - das Stichwort heisst Level Playing Field - geht es unter anderem um Umwelt-, Sozial- und Beihilfestandards. Grossbritannien möchte sich dabei von der EU möglichst wenige Vorgaben machen lassen - für Johnson ist das eine Frage der Souveränität. Die EU will jedoch Wettbewerbsvorteile für britische Firmen durch Regeldumping verhindern, zumal das angestrebte Handelsabkommen britische Waren unverzollt und ohne Mengenbegrenzung auf den EU-Markt lassen würde.

Beim zweiten wichtigen Streitthema Fischerei geht es um die Mengen, die EU-Fischer in britischen Gewässern fangen dürfen. Im Gespräch sind Insidern zufolge Quoten und eine Klausel zur Überprüfung der Regelung nach einer bestimmten Frist - eine sogenannte Revisionsklausel. Umwelt- und Agrarminister George Eustice warf der EU am Sonntag bei «Sky News» «groteske» Forderungen vor.

Vor allem für Frankreich hat das Thema Fischerei hohe politische Bedeutung. «Wenn es eine Vereinbarung gibt, werden wir den Text bewerten und analysieren», sagte Frankreichs Europa-Staatssekretär Clément Beaune der Sonntagszeitung «Le Journal Du Dimanche». «Wenn das Abkommen jedoch nicht gut ist und unseren Interessen, insbesondere den Interessen der Fischer, nicht entspricht, könnten wir, Frankreich, wie jeder Mitgliedstaat, ein Veto einlegen.» Auch Präsident Emmanuel Macron hatte zuvor bereits mit dem Veto gedroht.

Vertreter der britischen Regierung wiesen am späten Sonntagabend Berichte über einen Fortschritt beim Streitthema Fischerei zurück. «Es hat keinen Durchbruch beim Fisch gegeben. Es ist heute nichts Neues dazu erreicht worden», so die Aussage eines britischen Regierungsvertreters. Mehrere britische Medien hatten zuvor unter Berufung auf EU-Quellen von einem solchen Fortschritt berichtet.

Die Gespräche befänden in einem «sehr schwierigen Zustand», stellte Eustice am Sonntag in der BBC fest. «Ich denke, wir sind in den finalen Tagen, in denen sich entscheidet, ob ein Abkommen zustande kommen kann».

Sich für den No-Deal-Fall zu rüsten, scheint für die Briten allerdings deutlich weiter oben auf der Prioritätenliste zu stehen, als die Verhandlungspartner in Brüssel friedlich zu stimmen: Ihr geplantes Binnenmarktgesetz dürfte am Montag für weiteren Zündstoff sorgen, da es Teile des bereits gültigen EU-Austrittsabkommens aushebeln würde. Die EU ist empört über den geplanten Vertragsbruch und hat rechtliche Schritte eingeleitet. Doch London lässt sich nicht beirren und will das Gesetz - nach einer Niederlage im Oberhaus - am Montag mit den umstrittenen Klauseln erneut ins Unterhaus einbringen. «Diese Klauseln sind sehr wichtig - besonders wenn wir die EU ohne ein Abkommen verlassen», betonte Eustice.

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