Was die Zulassung des Impfstoffs in Grossbritannien bedeutet
Schon in der nächsten Woche wolle die Briten mit der Impfung gegen das Corona-Virus mit dem Produkt des Mainzer Herstellers Biontech beginnen. Zahlreiche Fragen sind noch offen.
Das Wichtigste in Kürze
- Paukenschlag in Grossbritannien: Das Land mit den meisten Corona-Toten in Europa beginnt nächste Woche mit Impfungen.
Dort kommt der Impfstoff des Mainzer Herstellers Biontech und seines US-Partners Pfizer zum Einsatz - weitere Länder könnten bald folgen.
Wird die EU nun ihr Zulassungsverfahren auch beschleunigen?
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sagte am Mittwoch, er erwarte eine rasche Entscheidung der Arzneimittelbehörde EMA im Zulassungsverfahren. Doch betonte der CDU-Politiker auch den entscheidenden Unterschied: In Grossbritannien handelt es sich um eine befristete Notfallzulassung, die in nationaler Kompetenz liegt. Deutschland hätte auch diesen Weg wählen können, habe sich aber bewusst dagegen entschieden, sagte Spahn. In der EU gehe es hingegen um eine bedingte Marktzulassung, die eine umfassendere Prüfung durch die EMA nötig mache. Das solle das Vertrauen der Bürger in den Impfstoff stärken. Eine kleine Verzögerung im Vergleich zu Grossbritannien sei nicht dramatisch, sagte Spahn. EU-Kommissarin Stella Kyriakides rechnet mit ersten Impfungen in der EU Anfang Januar.
Was kosten die Impfdosen?
Die mit den Herstellern in den EU-Rahmenverträgen vereinbarten Preise sind geheim. Offizielle Angaben dazu gibt es nicht. Anfang November gab es jedoch Berichte, wonach die EU weniger für den Biontech-Impfstoff zahlt als die 19,50 Dollar pro Dosis, die die USA akzeptiert hätten. Bei Moderna liege der von der EU angestrebte Preis pro Dosis unter 25 Dollar. Der Preis des Astrazeneca-Impfstoffs soll nur einen Bruchteil davon betragen. Die Impfungen in Grossbritannien werden vom Nationalen Gesundheitsdienst NHS durchgeführt, der auch die Kosten übernimmt. Insgesamt hat Grossbritannien nach Angaben der Regierung 40 Millionen Impfdosen bestellt. Premierminister Boris Johnson warnte am Mittwoch im Parlament jedoch vor allzu grossen Hoffnungen auf eine schnelle Immunisierung der breiten Bevölkerung.
Wie wirksam ist der Impfstoff überhaupt?
Für den Biontech/Pfizer-Impfstoff ergaben umfangreiche Testreihen nach Angaben der Unternehmen eine Wirksamkeit von 95 Prozent. Bei über 65-Jährigen seien es 94 Prozent. Das ist besonders wichtig, denn Senioren sind stärker durch das Virus gefährdet. Der Impfstoff funktioniere jedoch über alle Altersgruppen hinweg gut und zeige praktisch keine ernsten Nebenwirkungen, teilten die Firmen mit. All diese Angaben beziehen sich auf Covid-19-Erkrankungen. Ob der Impfstoff aber auch vor der Infektion und einer möglichen Weitergabe des Virus schützt, ist unklar. «Wie bei jedem anderen Impfstoff wird es nötig sein, die Sicherheit und Wirksamkeit genau zu überwachen», teilte der Wellcome Trust mit, eine der grössten Stiftungen der Welt.
Hat der Impfstoff auch Nachteile?
Das Mittel, das zweimal gegeben wird, muss bei minus 70 Grad Celsius transportiert und gelagert werden - das könnte für viele Länder zum Problem werden. Dem vom britisch-schwedischen Konzern Astrazeneca gemeinsam mit Forschern aus Oxford entwickelten Impfstoff-Kandidaten reichen dagegen Kühlschranktemperaturen. «Angesichts dessen werden wir sicherlich mehr als einen zugelassenen Impfstoff benötigen», sagte Michael Head, Experte für Globale Gesundheit an der Universität Southampton. Der Impfstoff soll in Belgien verpackt und per Spezialtransport nach Grossbritannien gebracht werden.
Was wird alles zum Impfzentrum umfunktioniert?
Die erste Runde Impfungen soll in Kliniken und Pflegeeinrichtungen stattfinden. Dort geht die britische Regierung am ehesten davon aus, dass sie die Lagerungsbedingungen einhalten kann. Allerdings gab es schon kritische Stimmen, die das bei den Pflegeeinrichtungen bezweifelten. Geplant ist längerfristig, dass auch in Hausarztpraxen, Sportstätten und Konferenzzentren geimpft wird.
Kann ein Europäer nach Grossbritannien fahren und sich impfen lassen?
Nein. Die Vergabe des Impfstoffs erfolgt zentral und nach strengen Kriterien. Einer Kommission zufolge werden als erstes die Bewohner und Mitarbeiter von Seniorenheimen geimpft. In einem nächsten Schritt sollen alle über 80-Jährigen, Krankenhausmitarbeiter und andere Pflegekräfte an die Reihe kommen, später weitere Risikogruppen. Bereits in der kommenden Woche sollen in Grossbritannien 800 000 Dosen des Impfstoffs verabreicht werden. Noch in diesem Jahr sollen mehrere Millionen Dosen verfügbar sein.
Wieso ist der Impfstoff gerade für Grossbritannien so wichtig?
Das Vereinigte Königreich steht besonders unter Druck: In keinem anderen europäischen Land ist die Zahl der Covid-19-Todesfälle so hoch. Dem Gesundheitsministerium zufolge sind schon fast 60 000 Menschen gestorben, aber Experten rechnen mit einer hohen Dunkelziffer. Noch immer mangelt es an Tests. Dem Premierminister Boris Johnson wird vorgeworfen, zu spät und falsch auf die Pandemie reagiert zu haben. Er selbst hatte sich anfangs damit gebrüstet, Infizierten die Hände geschüttelt zu haben - bis er auf einer Intensivstation selbst um sein Leben kämpfte. Der staatliche Gesundheitsdienst NHS ist zudem seit vielen Jahren marode und chronisch unterfinanziert. Schon bei einer normalen Grippewelle stehen viele Kliniken vor dem Kollaps.