In Afghanistan wächst der Widerstand gegen die Taliban
In Afghanistan bekommen die militant-islamistischen Taliban Gegenwind. In Kabul demonstrieren Frauen, die keine Furcht zeigen. Die Provinz Pandschir leistet bewaffneten Widerstand.
Das Wichtigste in Kürze
- In Afghanistan flammt Widerstand gegen die militant-islamistischen Taliban auf.
Bei einer Demonstration für Frauenrechte in der Hauptstadt Kabul kam es zu Zusammenstössen. Mindestens eine Frau sei dabei verletzt worden, berichteten lokale Journalisten.
In der einzigen von den Taliban noch nicht eroberten Provinz Pandschir im Nordwesten Kabuls dauerten die Kämpfe am Wochenende an. Eine neue Regierung ist weiter nicht in Sicht.
Taliban gehen hart gegen demonstrierende Frauen vor
Videos von lokalen TV-Sendern und Aktivistinnen zeigen, wie am Samstag in Kabul Dutzende schwer bewaffnete Taliban-Sicherheitskräfte mehrere Frauen umzingeln. Viele halten sich ihr Kopftuch vors Gesicht und husten. Andere liefern sich Schreiduelle mit Taliban. Ein Kommandeur fragt über einen Lautsprecher «... was wollt Ihr, es gibt kein Problem Mädchen, okay?», während im Hintergrund eine junge Frauenstimme zu hören ist, die fragt: «Warum schlagt ihr uns?» Kurz darauf entreisst eine Frau dem Kommandeur den Lautsprecher. Die Videos konnten zunächst nicht unabhängig verifiziert werden.
Eine Teilnehmerin sagte der «New York Times», die Taliban hätten versucht, die Teilnehmerinnen mit Tränengas, Gewehrkolben und Metallknüppeln oder Werkzeugen auseinanderzutreiben. Sie sagte weiter, sie habe mit fünf Stichen am Kopf genäht werden müssen, nachdem sie mit einem scharfen Metallgegenstand bewusstlos geschlagen worden sei.
Während des Taliban-Regimes zwischen 1996 und 2001 durften Frauen in Afghanistan nicht mehr arbeiten und nur noch verschleiert in Begleitung eines männlichen Familienmitglieds das Haus verlassen. Mädchen wurden auch vom Schulunterricht ausgeschlossen. Viele Frauen befürchten seit der erneuten Machtübernahme der Islamisten, dass diese wieder ähnliche Regeln für sie einführen werden.
Widerstand im Pandschir-Tal macht Taliban zu schaffen
Pandschir bleibt die einzige Provinz, die von den Taliban noch nicht kontrolliert wird. Viele Angaben beider Seiten widersprechen sich und können nicht unabhängig überprüft werden.
Offensichtlich drangen die Taliban weiter in das Pandschir-Tal vor. Die italienische Hilfsorganisation Emergency, die ein Krankenhaus und eine Geburtenstation im Tal betreibt, teilte auf Twitter mit, dass die Islamisten das Dorf Anabah, rund 30 Minuten von der Provinzhauptstadt Basarak entfernt, erreicht hätten.
Die Islamisten erklärten am Sonntag, sechs der sieben Bezirke seien bereits unter ihrer Kontrolle. Verteter der Widerstandskämpfer gaben dagegen am Sonntag an, der Bezirk Parjan am Talende sei vollständig von Taliban-Kämpfern befreit worden. Am Eingang zum Tal seien Taliban nach der Sprengung eines Teils eines Berges eingekesselt. Rund 1000 Angreifer seien getötet oder gefangen genommen worden.
Ein aus der Provinz stammender bisheriger Parlamentarier, Sal Mohammed Salmai Noori, sagte, es gebe Gefechte in Parjan und in Schutul - ein Bezirk, der am Talanfang liegt. Alles dazwischen sei unter Kontrolle des Widerstands.
Achmad Massud, der Anführer des Widerstands in Pandschir, erklärte am Samstag, er wolle weiterkämpfen. Dem Widerstand nahestehende Twitter-Konten berichteten von schwierigen Gefechten und fehlenden Ressourcen. Bereits in der Vergangenheit hatte Massud andere Länder dazu aufgerufen, den Widerstand zu unterstützen.
Regierungsbildung lässt weiter auf sich warten
Wann die Taliban ihre Regierung vorstellen werden, ist weiter unklar. Es gibt Berichte, denen zufolge die Taliban-Führung erst die Pandschir-Frage gelöst haben will. Beobachter berichten aber auch von internen Querelen und Postengeschacher.
Die Zusammensetzung der Regierung ist seit Tagen Gegenstand von Gerüchten. Zuletzt hiess es immer öfter, ihr würden ausschliesslich Taliban-Mitglieder angehören. Das widerspricht Forderungen aus dem Ausland sowie Versprechen der Islamisten, auch andere Politiker einzubinden.
Sorge vor neuem Bürgerkrieg in Afghanistan
Hochrangige US-Militärs fragen sich, ob die Islamisten eine stabile Regierung aufstellen können. «Ich weiss nicht, ob die Taliban in der Lage sein werden, ihre Machtstellung zu festigen und eine Regierung zu etablieren», sagte US-Generalstabschef Mark Milley dem Sender Fox News am Samstag. «Meine militärische Einschätzung ist, dass sich die Lage wahrscheinlich zu einem Bürgerkrieg auswachsen wird.» Eine derartige Entwicklung könnte wiederum dazu führen, dass Terrorgruppen das Machtvakuum in Afghanistan für sich nutzen, warnte Milley. Eine Neuformierung etwa vom Terrornetzwerk Al-Kaida sei zu befürchten.
Tägliche Leben normalisiert sich etwas
Das öffentliche Leben normalisierte sich am Wochenende ein bisschen. Am Samstag wurde in Kabul der grosse Geldwechslermarkt wieder eröffnet. Im Land herrscht eine Bargeldkrise, weil die Reserven der Regierung, die im Ausland geparkt sind, eingefroren sind und somit die regelmässigen Bargeldlieferungen ins Land ausbleiben. Auch erste Inlandsflüge wurden am Wochenende wieder aufgenommen.
Wunschzettel der Taliban für Deutschland
Die Taliban fordern von Deutschland nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan offizielle diplomatische Beziehungen und finanzielle Hilfen. «Wir wollen starke und offizielle diplomatische Beziehungen zu Deutschland», sagte Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid der «Welt am Sonntag». Demnach wünschen sich die Taliban von Berlin ebenso wie von anderen Ländern finanzielle Unterstützung, humanitäre Hilfe und Kooperation bei Gesundheit, Landwirtschaft und Bildung.
Die EU-Aussenminister hatten am Freitag Bedingungen für eine beschränkte Zusammenarbeit mit den Taliban gestellt: Sie sollen eine Regierung bilden, die möglichst viele Bevölkerungsteile abbildet und unkomplizierte Hilfslieferungen ermöglicht. Zudem sind sie aufgefordert, die Einhaltung von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit zu gewähren, schutzbedürftigen Menschen die Ausreise zu garantieren und dafür zu sorgen, dass Afghanistan nicht wieder zu einer Basis für international operierende Terrorgruppen wird.
Papst betet für afghanische Flüchtlinge
Papst Franziskus hat für Menschen aus Afghanistan gebetet, die derzeit auf der Flucht aus dem Land sind. «Mögen alle Afghanen, sowohl in ihrem Heimatland, als auch auf der Durchreise als auch in den Aufnahmeländern in Würde, Frieden und Geschwisterlichkeit zu ihren Nächsten leben», sagte das katholischen Kirchenoberhaupt am Sonntag vor Gläubigen auf dem Petersplatz in Rom. Der 84-Jährige betete dafür, dass viele Länder jene aufnähmen und beschützten, die ein neues Leben suchten. Den jungen afghanischen Menschen wünschte er einen Zugang zu Bildung, denn diese sei ein wesentliches Gut für die menschliche Entwicklung.