Wissenschaftler kritisieren Corona-Lockerungen in England scharf
Die geplanten Lockerungen in England werden von Experten weltweit stark kritisiert. Die Entscheidung wird als «mörderisch» und ein «Desaster» bezeichnet.
Das Wichtigste in Kürze
- Die britische Regierung hält trotz vermehrten Infektionen an den Lockerungen fest.
- Verschiedene Experten weltweit erheben starke Kritik gegen diese Entscheidung.
- Dabei sind unter anderem die Bezeichnungen «mörderisch» und ein «Desaster» gefallen.
Internationale Wissenschaftler haben scharfe Kritik an der Entscheidung der britischen Regierung geübt, kommende Woche fast alle Corona-Beschränkungen in England aufzuheben.
Aus seiner Sicht sei die «Strategie der Herdenimmunität wirklich mörderisch». Das sagte der US-Forscher William Haseltine am Freitag bei einem Online-Treffen internationaler Gesundheitsexperten. Eine solche Strategie werde zu «tausenden, wenn nicht zehntausenden» Toten führen, warnte er. «Eine solche Politik ist ein Desaster.»
Lockerungen trotz steigenden Zahlen
Trotz der in Grossbritannien grassierenden Delta-Variante des Coronavirus treten in England am Montag weitreichende Lockerungen der bisherigen Restriktionen in Kraft. Unter anderem fallen die meisten Beschränkungen für grosse Versammlungen sowie die Maskenpflicht weg, auch Diskotheken dürfen wieder öffnen.
Die Regierung von Grossbritanniens Premierminister Boris Johnson bestreitet, mit den Lockerungen auf eine sogenannte Herdenimmunität in der Bevölkerung zu setzen. Allerdings hat sie eingeräumt, dass die Zahl der täglichen Corona-Infektionen in den kommenden Wochen auf 100'000 steigen könnte. Dies könnte eine erhebliche Belastung der Krankenhäuser bedeuten.
Der neuseeländische Wissenschaftler Michael Baker sagte bei dem Wissenschaftler-Treffen, Grossbritannien sei mit Blick auf die Corona-Impfkampagne ein internationales Vorbild gewesen. Deshalb sei es «bemerkenswert», dass die Regierung nun «die grundlegenden Prinzipien der öffentlichen Gesundheit» missachte.
Auch die taiwanische Professorin Chiou Shu-Ti zeigte sich irritiert. «In unserer Kultur gibt es ein Sprichwort, dass es unethisch ist, den Menschen den Regenschirm wegzunehmen, solange es noch regnet.» Sagte sie und weiter: «Und jetzt regnet es sehr stark.» Sie hege die «starke Befürchtung», dass die Lockerungen in England vor allem jüngeren Menschen sowie Vorerkrankten schaden könnten.
Protestbriefs mit 1400 Experten-Unterschriften
Das Wissenschaftler-Treffen war von den Autoren eines Protestbriefs organisiert worden. Dieser war in der vergangenen Woche im Fachjournal «The Lancet» veröffentlicht worden. Darin hatten Experten die britische Regierung dazu aufgerufen, die angekündigten Lockerungen doch nicht umzusetzen. Ursprünglich hatten den Brief 122 Wissenschaftler unterzeichnet, inzwischen unterstützen ihn 1400 weitere Forscher.
Johnson hatte die umstrittenen Lockerungen mit der «hohen Wahrscheinlichkeit» begründet, dass die schlimmste Phase der Corona-Pandemie vorbei sei. Allerdings äusserten auch britische Experten ernste Bedenken angesichts der Pläne. «Ich denke, wir sollten die Tatsache nicht unterschätzen, dass wir überraschend schnell wieder Probleme bekommen könnten.» So warnte am Donnerstag der Chef der britischen Gesundheitsbehörde, Chris Whitty.