Vor Kurzem hat Wladimir Putin seine Grosscousine zur Vize-Ministerin ernannt. Geht es ihm dabei um den Machterhalt? Zwei Russland-Experten ordnen ein.
Wladimir Putin
Wladimir Putin mit seiner Grosscousine Anna Ziwiljowa. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Putins Grosscousine übernimmt einen der vier Vize-Posten des Verteidigungsministeriums.
  • Laut Russland-Experte Schmid ist Putin noch immer vom Prigoschin-Aufstand traumatisiert.
  • Seit geraumer Zeit sei Loyalität wichtigstes Qualifikationskriterium für einen Aufstieg.
  • Laut Experte Hayoz «degradiere» Putin jene, die im Ukraine-Krieg zu wenig effizient seien.
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Erst letzte Woche hat Wladimir Putin sein Verteidigungsministerium weiter umgebaut. Gleich vier Posten von stellvertretenden Ministern wurden neu besetzt. Dabei sticht ins Auge: Einen davon besetzt neu Anna Ziwiljowa – die Grosscousine des Kreml-Chefs.

Ihr Ehemann ist zudem seit Mai russischer Energieminister. Und erst Anfang Juni liess Wladimir Putin seine beiden Töchter am Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg – dem «russischen Davos» – auftreten. Davor hatte er sie eigentlich von der Öffentlichkeit ferngehalten.

Bereitet der russische Präsident etwa seine Verwandtschaft für seine Nachfolge vor?

«Den Auftritt der beiden Töchter sollte man nicht überbewerten», erklärt Russland-Experte Ulrich Schmid von der Universität St. Gallen auf Anfrage. Sie seien ja nur Diskussionsteilnehmerinnen auf Panels gewesen.

katerina tichonowa
Katerina Tichonowa war einer Podiumsdiskussion am Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg zugeschaltet.
Ulrich Schmid
Laut Ulrich Schmid, Professor für Osteuropastudien an der Universität St. Gallen, dürfe man den Auftritt der Putin-Töchter nicht überbewerten.
Wladimir Putin
Trotzdem sei es richtig, dass es unter Wladimir Putin wieder zu «Säuberungen» komme.
Wladimir Putin Prigoschin
Denn Putin sei nach wie vor traumatisiert vom Prigoschin-Aufstand im vergangenen Sommer.
Wladimir Putin
Dabei sei schon seit geraumer Zeit Loyalität das wichtigste Qualifikationskriterium für einen Aufstieg in seinem System.

Auch Nicolas Hayoz, Osteuropa-Experte und Professor an der Universität Freiburg, erklärt, dass der Eindruck trüge. «Man kann nicht sagen, dass Wladimir Putin immer mehr Verwandte in Regierungspositionen bringt. Es stimmt, dass einige jüngere Männer aus Putins Verwandtschaft oder Söhne von Freunden von Putin befördert worden sind.» Aber insgesamt dominiere in seinem System der «Status quo».

Wladimir Putin «nach wie vor traumatisiert vom Prigoschin-Aufstand»

Trotzdem sei es laut Schmid richtig, dass es wieder zu «Säuberungen» komme. «Putin ist nach wie vor traumatisiert vom Prigoschin-Aufstand im vergangenen Sommer. Besonders schmerzhaft war für ihn, dass hochrangige Militärs wie General Surowikin offenbar mehr über den Aufstand wussten. Und sich nicht bedingungslos auf die Seite Putins stellten», erläutert Schmid.

Dabei sei schon seit geraumer Zeit Loyalität das wichtigste Qualifikationskriterium für einen Aufstieg im System Wladimir Putin. «Es geht um die Schliessung der Machtelite auf einen kleinen Kreis von Personen. Denen Putin vertrauen kann und die seine Entscheidungen bedingungslos mittragen.»

Glaubst du, dass Putin an einem Waffenstillstand in der Ukraine interessiert ist?

Bestes Beispiel sei sein ehemaliger Leibwächter Alexej Djumin, der zuerst zum Gouverneur und jetzt zum Sekretär des Staatsrates aufgestiegen sei. Der Kreml-Chef wisse aber, dass er auf die Zustimmung und Unterstützung seiner Topkader angewiesen sei.

«Deshalb hält er an seinen Führungskräften fest, so lange es geht. Seinen treuen Gefolgsmann Schoigu hat er geopfert. Weil er an der Spitze des Verteidigungsministeriums nach den miserablen Resultaten des Ukraine-Kriegs nicht mehr haltbar war», so Schmid. Putins Problem dabei: Er habe eine enorme persönliche Macht aufgebaut, die nicht ohne Weiteres auf einen Nachfolger übertragen werden könne.

«Erneuerung des Machtzirkels»

Auffallend seien laut Hayoz ebenfalls eher die Beförderungen, welche die «Kriegskompetenz» stärken sollen – vor allem die Kriegswirtschaft. Putins extrem personalisiertes Regime setze in hohem Masse auf Loyalität, die auf Patronage, auf Belohnung mit Posten aufbaue.

Waldimir Putim
Das extrem personalisierte Regime von Wladimir Putin setze in hohem Masse auf Loyalität, erklärt Osteuropa-Experte Nicolas Hayoz. - keystone

Er «degradiere» diejenigen, die im Ukraine-Krieg zu wenig effizient seien. Wenn der Krieg nicht die Resultate bringe, die man erwarte, müsse auch Putin vermehrt auf Kompetenz und Meritokratie setzen. Dabei gehe es auch um den Machterhalt: «Wladimir Putin sichert seine Macht immer ab.»

«Dass nun auch ‹Prinze› aufsteigen (Söhne von Freunden usw.) zeigt auch, dass Putin nach und nach auch eine Erneuerung eines schon ziemlich ‹alt gewordenen› Machtzirkels anstrebt.» Die Beförderung von jüngeren Kadern verstärke die Loyalität. Und irgendwann müssten laut dem Osteuropa-Experten auch Kandidaten sichtbar gemacht werden, die als Nachfolger von Putin infrage kommen.

Mögliche Kandidaten für Nachfolge zeichnen sich ab

Schmid ist überzeugt: «Putin wird allerdings mit einer Nachfolgeregelung abwarten, bis er eine für sich selbst akzeptable Lösung des Ukraine-Kriegs gefunden haben wird.» Mögliche Kandidaten wie der stellvertretende Leiter der mächtigen Präsidialadministration Sergej Kirienko oder der Landwirtschaftsminister Dmitri Patruschew würden sich aber abzeichnen.

Glaubst du, dass Putin in Russland noch lange an der Macht bleibt?

Allen Führungskräften in Russland – egal ob zivile, militärische oder staatliche – sei jedoch klar: «Der waghalsige Kurs des Kremls darf nicht kritisiert werden.» Damit könne der Kreml zwar Entscheidungen ohne grössere Widerstände durchsetzen. Doch es gebe dadurch kaum mehr interne Kritik an den Entscheiden, womit das Qualitätsmanagement wegfalle.

Hayoz zufolge sei der Kreis derjenigen, die in «Putins System» involviert seien, doch ziemlich gross. «Auch wenn zwischendurch Exempel statuiert werden betreffend Korruption: Das ganze System Putin beruht fundamental auf Korruption. Es ist der Schmierstoff, mit dem das System am Leben erhalten wird.»

Profitieren könnten von diesem System sehr viele. «Und darum wird es noch lange unterstützt werden», sagt Hayoz.

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