In Schweden sind bisher überdurchschnittlich viele Menschen am Coronavirus verstorben. Forscher haben nun untersucht, wie viel Lebenszeit das Virus kostet.
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Coronavirus Schweden: Über 3000 Menschen sind bisher an den Folgen des Coronavirus gestorben. - AFP/Archiv

Das Wichtigste in Kürze

  • Schweden setzt bekanntlich auf eine andere Strategie im Kampf gegen das Coronavirus.
  • Den Weg der Freiwilligkeit kostet das Land aber Menschenleben – und Lebenserwartung.
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Der «schwedische Weg» gilt als Musterbeispiel, wie man das Coronavirus bekämpfen kann, ohne das Land in den Lockdown zu versetzen. Die Schweden setzen auf Selbstverantwortung statt Verbote. Zumindest was die Kosten von Menschenleben angeht, zahlt sich dieser Weg für das Land aber nicht aus.

Auffallend ist bereits jetzt, dass Schweden mehr Todesfälle hat als seine Nachbarsländer. Bei fast gleich vielen Corona-Fällen haben die Schweden zum Beispiel etwa doppelt so viele Todesfälle wie die Schweiz. Schweden hat sogar die höchste Todesrate pro Million Einwohner weltweit.

Coronavirus: Besonders hohe Übersterblichkeit ab 80 Jahren

Eine Studie untersuchte nun die Übersterblichkeit in Schweden. Die Übersterblichkeit ist vereinfacht die erhöhte Zahl von Sterbefällen während einer bestimmten Zeitspanne. Dies verglichen mit der zu dieser Zeit normalerweise zu erwartenden Sterblichkeit.

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Coronavirus in Schweden: Menschen sitzen in der Sonne in Restaurants und Cafés an dem Platz Lilla Torg. - dpa

Zwei schwedische Forscher verglichen die Todeszahlen von 2020 mit denen von den fünf Jahren zuvor. Ihr Ergebnis ist klar: Seit Anfang April ist die Sterberate aller Altersgruppen ab 60 Jahren höher als in den Vorjahren. Besonders stark betroffen sind dabei Menschen über 80 Jahre. Männer in dieser Altersgruppe starben 75 Prozent mehr, die Todesrate bei den Frauen war 50 Prozent höher.

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Das Coronavirus sorgt für eine Übersterblichkeit in Schweden. - Screenshot Twitter / @NAChristakis

So errechnet die Forscher auch, dass die Restlebenserwartung der Frauen wegen dem Coronavirus um zwei Jahre sinkt. Die der Männer gar um drei. Die Ergebnisse zeigen auch, dass das Coronavirus Männer härter trifft als Frauen.

Die Schlussfolgerung der Forscher: Die Coronavirus-Pandemie hat sich eindeutig auf die Gesamtsterblichkeit und die Lebenserwartung in Schweden ausgewirkt.

Damit stehen die Schweden aber nicht alleine da. Zum Vergleich: ähnliche Untersuchungen wurden auch schon in anderen Ländern durchgeführt. In Italien sorgt eine Infektion mit dem Coronavirus zu einer Verkürzung der Lebenserwartung um 11 bis 13 Jahre. Dies berechnete eine schottische Studie Anfangs Mai.

Eigenverantwortung statt Verbote

Die Schwedische Bevölkerung steht gleichzeitig geschlossen hinter dem Sonderweg. Die aktuelle Regierung von Premierminister Stefan Lövfen darf sich in Zustimmungs-Umfragen über Spitzenwerte freuen.

Der skandinavischen Mentalität entspricht dabei besonders, dass die schwedische Regierung statt auf einen Lockdown auf Eigenverantwortung setzt. Statt mit Verboten versucht die Regierung mit Appellen und Empfehlungen, die eigene Bevölkerung auf Distanz zu halten.

Und das funktioniert auch mehrheitlich: Restaurant- und Museumsbesuche gingen landesweit um 70 Prozent zurück, die ÖV-Nutzung brach ebenfalls ein. Und immerhin ein Drittel arbeitet aus dem Homeoffice. Sorgenkind bleibt die Metropole Stockholm, wo insbesondere das Nachtleben sich wenig um Social Distancing kümmert. Die Regierung droht schon seit mehreren Wochen damit, dort durchzugreifen, bislang blieb es aber bei Worten.

Herdenimmunität oder geheimer Plan?

Gleichzeitig ist nicht ganz klar, welches Ziel Schwedens Entscheidungsträger mit ihrem Sonderweg anstreben. Offiziell heisst es, es ginge darum, so viele Infektionen zu vermeiden wie möglich. Chef-Epidemologe Anders Tegnell wird darum oft unterstellt, er strebe die viel diskutierte Herdenimmunität an.

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Schwedens Staatsepidemiologe Anders Tegnell wird für seine etwas andere Corona-Strategie immer wieder kritisiert. - keystone

Diese beinhaltet, dass die Mehrheit der Bevölkerung aufgrund einer durchgemachten Infektion oder einer Impfung immun ist. Experten gehen davon aus, dass 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung immun sein müssen. Damit könne man die unkontrollierte Ausbreitung des Coronavirus stoppen. Sie kritisieren, dass man dafür über zwei Drittel der Bevölkerung «durchseuchen» lassen müsste, solange man nicht vorher einen Impfstoff entwickelt.

Tegnell selber wagte sich bisher nicht aufs Glatteis und bestätigte die Theorie nur indirekt. So etwa in einem Interview mit dem renommierten Wissenschaftsmagazin «Nature». «Es gibt genügend Hinweise darauf, dass wir über Herdenimmunität nachdenken können», sagte Tegnell vorsichtig.

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