Schweizer Pharmas suchen bei Fettspritze verzweifelt Anschluss
Roche betritt das GLP-1-Wettrennen durch die Übernahme von Carmot. Ziel: Einsatz von GLP-1 im Kampf gegen Übergewicht und Fettleibigkeit.
Normalerweise sorgen Durchbrüche in der Pharmaforschung nicht für Schlagzeilen in den Boulevardblättern. Seit Celebrities wie Oprah Winfrey oder Elon Musk öffentlich über ihre Erfahrungen mit sogenannten GLP-1-Medikamenten bei der Gewichtsreduktion gesprochen haben, ist dies anders. GLP-1 steht dabei für Glucagon-like Peptide-1. Dies ist ein Hormon im menschlichen Darm, das beim Zuckerstoffwechsel eine wichtige Rolle spielt.
Konkret fördert es die Abgabe von Insulin, einem Hormon, das den Blutzuckerspiegel senkt. Daher wurden GLP-1-Medikamente zunächst auch zur Behandlung von Diabetes Typ 2 erforscht. Dass GLP-1 die Magenentleerung verzögert und das Sättigungsgefühl fördert, bescherte den Wirkstoffen dann erst den richtigen Hype.
Diabetes Typ 2 behandeln und Gewicht senken
Wie so oft in der Pharmaforschung ist seit der Entdeckung bis zur konkreten Anwendung viel Zeit verstrichen. An sich ist bereits seit mindestens Ende der 80er-Jahre bekannt, dass GLP-1 eine erheblich positive Wirkung auf den Stoffwechsel bei Menschen hat, die an Diabetes Typ 2 leiden. Es hat dann aber bis in die 2000er-Jahre gedauert, bis der erste Wirkstoff aus dieser GLP-1-Gruppe zugelassen wurde.
Richtig in Schwung ist der Markt mit GLP-1 dann in den letzten paar Jahren gekommen. Ursache dafür war, dass Wegovy (Semaglutid) von Novo Nordisk nicht nur zur Behandlung von Diabetes, sondern seit 2021 auch zur Gewichtsregulierung zugelassen ist. 2022 stiess mit Eli Lilly und seinem Mounjaro noch ein zweiter Konzern dazu.
Diese beiden Player sind derzeit die einzigen, die mit GLP-1 Mitteln auf dem Markt sind, die beides können: Diabetes Typ 2 behandeln und das Gewicht senken. Vor allem in den USA haben sich zahlreiche Celebrities geoutet, mithilfe von Wegovy oder Mounjaro einige Kilos abgenommen zu haben.
Roche steigt in das GLP-1-Wettrennen ein
Allerdings dürfte die Vorreiter-Rolle von Eli Lill und Novo in den kommenden Jahren Konkurrenz erhalten. Hierzulande hat Pharma-Schwergewicht Roche erst kürzlich mit der Übernahme des US-Unternehmens Carmot seinen Einstieg in das GLP-1-Wettrennen angekündigt. Dabei geht es in erster Linie um den Einsatz von GLP-1 im Kampf gegen Übergewicht und Fettleibigkeit.
Weitere Übernahmen auf diesem Gebiet könnten folgen, kündigte James Sabry von Roche an. Man sei auf der Jagd nach Partnern, um das Duopol von Eli Lilly und Novo Nordisk herauszufordern, wird der Manager in einem Medienbericht zitiert. Auch Konzernlenker Thomas Schinecker machte unlängst im Interview mit AWP-Video klar, dass er grosses Potenzial in dem Markt sehe. Allerdings werde es noch eine ganze Weile dauern, bis der Basler Konzern belastbare Forschungsdaten mit dem eingekauften Molekül vorlegen kann.
Dabei könnte Roche schon viel weiter sein. Der Konzern hat 2018 die Rechte an einem GLP-1-Kandidaten für ursprünglich 50 Millionen US-Dollar an Eli Lilly abgetreten. Der US-Konzern testet das Mittel seit letztem Sommer in einer zulassungsrelevanten Studie in der Indikation Fettleibigkeit.
Ein Milliardenmarkt
Und genau das ist es, was die ganze GLP-1-Forschung in den letzten paar Jahren so hipp gemacht hat: Die Bekämpfung von Übergewicht und Fettleibigkeit ist ein Milliardenmarkt. Schätzungen zufolge dürfte sich die Zahl der übergewichtigen Menschen bis 2035 auf vier Milliarden verdoppelt haben. Das heisst: Die halbe Menschheit leidet dann unter Adipositas. Und so schätzen Experten das Markpotenzial denn auch auf exorbitante 150 Milliarden US-Dollar.
Bei vielen dieser übergewichtigen Menschen dürften zudem weitere Erkrankungen wie Herz-Kreislauf, Diabetes Typ 2 und Gelenkprobleme hinzukommen, was die Gesundheitssystem dann noch weiter belastet. Anders als Roche fokussiert sich Konkurrent Novartis denn auch eher auf die Begleiterscheinungen von Fettleibigkeit wie etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Cholesterin. «Wir schauen uns die derzeitigen Entwicklungen sehr genau an und überlegen, wie wir letztendlich partizipieren könnten», sagte Novartis-CEO Vas Narasimhan im Video-Interview mit AWP.
«Nichtsdestotrotz: Unser Ansatz ist es, Therapien zu entwickeln, mit denen wir Patienten einen neuartigen oder auch verbesserten Ansatz liefern können. Der Herde einfach folgen wollen wir nicht.» Angesichts dieser vielen Begleitkrankheiten erscheinen Medikamente, die nicht nur Diabetes behandeln, sondern auch das Gewicht reduzieren und – wie neueste Studien zeigen – eine positive Wirkungen auf Blutdruck oder Herzinsuffizienz haben, wie der Heilige Gral.
Nebenwirkungen nicht zu unterschätzen
Doch so einfach dürften die Kassen nicht klingeln. Zwar ist die Nachfrage extrem hoch, die Konzerne können sie aber mit ihren aktuellen Kapazitäten nicht bedienen – zudem sind die Mittel nicht günstig. Das heisst, dass sich in manchen Ländern nur eine bestimmte Gesellschaftsschicht die Abnehmmittel erlauben kann. Bis es erste kostengünstigere Generika gibt, dürften noch Jahre vergehen. Allerdings arbeiten erste Konzerne bereits daran.
Und es gibt noch weitere Probleme: Wirklich langzeitige Daten zur Wirkung auf das Körpergewicht gibt es nicht. Vielmehr nehmen viele Patienten nach ein bis zwei Jahren wieder zu, gibt Manuel Elmiger, Gesundheitsökonom bei Helsana, im Gespräch mit AWP zu bedenken. Ausserdem sind die Nebenwirkungen dieser Mittel nicht zu unterschätzen: Sie reichen von Übelkeit, Durchfall, Erbrechen, Verstopfung über Depressionen bis schlimmstenfalls möglichen Schilddrüsentumoren.
Diabetesmarkt im Wandel
Ein weiterer Punkt sind die Kosten. Schon jetzt treiben Wegovy und Co. die Kosten der Grundversicherung nach oben und werden das sicher noch weiter tun, so Elmiger weiter. Mutmassungen über das Ausmass seien aber schwierig zu treffen. Andererseits würden natürlich durchaus Kosten für die Folgekosten gespart, wenn ein Grossteil der Patienten das Gewicht deutlich und nachhaltig senke.
Im jüngsten Arzneimittelreport von Helsana steht, dass sich der Diabetesmarkt aufgrund von neuen Therapieansätzen im Wandel befinde. «Die Volkskrankheit hat eine Kostensteigerung von 50 Millionen Franken erfahren und verursacht im Jahr 2022 Gesamtkosten von 411 Millionen Franken.» Dabei verzeichneten zwei neue Medikamente zur Blutzuckersenkung und Gewichtsreduktion starke Kostenzuwächse um 57 respektive 32 Prozent. «So hat früher eine Therapie rund 650 Franken pro Jahr gekostet – Heute sind es zusätzlich 1000 Franken.»