«Abschreckend»: Non-binäre werden bei Job-Bewerbung bevorteilt
ESC-Talent Nemo will sich für Non-binäre einsetzen. Kultur-Betriebe haben schon vorwärtsgemacht – Minderheiten werden bei Jobs bevorzugt. Nicht allen gefällts.
Das Wichtigste in Kürze
- Nemo verspricht nach dem ESC-Sieg, sich für die Rechte von Non-binären einzusetzen.
- In der Kultur-Branche machen viele Betriebe schon länger vorwärts.
- Minderheiten wie Non-binäre werden bei der Jobsuche anderen Personen vorgezogen.
- Ein HR-Experte warnt, das sei «abschreckend». Auch der Arbeitgeberverband rät ab.
«Ich setze mich ganz klar für einen dritten Geschlechtseintrag ein.» Nemo identifiziert sich selbst als non-binär. Und setzt nach dem ESC-Sieg auch ein politisches Zeichen.
Tatsächlich hinkt die Schweiz gegenüber anderen Ländern hinterher. So hat man zum Beispiel in Deutschland beim Eintrag ins Personenstandsregister deutlich mehr Optionen. Nicht nur «männlich» und «weiblich», auch «divers» oder «ohne» kann beim Geschlecht gewählt werden.
Aber Achtung: Nicht überall in der Schweiz werden Non-binäre benachteiligt – im Gegenteil. In der Kultur-Branche haben Minderheiten nicht selten gar einen Vorteil, wenn es darum geht, einen Job zu bekommen.
Minderheiten «freuen besonders», «bevorzugt», «erwünscht»
So steht etwa in Stellenausschreibungen des Berner Kulturzentrums Progr: «Wir freuen uns besonders über Bewerbungen von FINTA* und/oder BIPoC.»
(Erklärung der Redaktion: FINTA* = Frauen*, Inter*, nicht-binäre, Trans* Personen, sowie agender, also Menschen ohne Geschlechtsidentität. BIPoC = Schwarze, Indigene und People of Color)
Bei der «Heitere Fahne» in Bern heisst es: «Bewerbungen von Vertreter*innen von Gruppen, die in der Kulturwelt noch unterrepräsentiert sind, sind ausdrücklich erwünscht.»
Und bei der «Wochenzeitung», die ihren Sitz in Zürich hat, heisst es: «Bei gleicher Qualifikation werden Frauen und Personen mit Migrationsgeschichte bevorzugt.»
Aber Achtung: Nicht alle finden das Vorgehen nur offen und zeitgemäss. Bei HR-Profi Alexander Beck, der am Zugersee eine eigene Unternehmensberatungsfirma führt, läuten auch die Alarmglocken.
HR-Profi warnt: «Das ist abschreckend»
Zwar versteht Beck «sehr gut, dass Organisationen Profile suchen, die sich als Teil eines solchen Umfeldes sehen».
Aber: «Auf der anderen Seite ist es abschreckend und ausgrenzend, wenn sich ein Bewerber ohne diesen Hintergrund auf eine solche Stelle bewerben will. Mit solchen Ausschlusskriterien ist die Gefahr, dass wir mit Vorurteilen und Stigmatas arbeiten, sehr gross.»
Zentral bei der Anstellung sollte vielmehr sein, dass der fachliche Rucksack sowie Erfahrungen und Leistungsausweise stimmen, sagt Beck. «Und dass ihre Persönlichkeit in die Unternehmenskultur passt – ungeachtet von Neigung, Geschlecht und Äusserlichkeiten.»
Ihm sei dieses Vorgehen nur aus der Kultur-Branche bekannt. Der langjährige Management-Experte hält fest: Firmen sollten auf jeden Fall transparent sein, warum sie ein spezifisches Merkmal in einer Ausschreibung möchten. Und: Non-binär, Trans oder eine Frau zu sein, «darf kein Muss-Kriterium sein».
Trotz Minderheiten-Vorteil: «Viele Bewerbungen von weissen Männern»
Man müsse nicht einer Minderheit angehören, um beim Progr zu arbeiten, versichert Urs Emmenegger, Mitglied der Progr-Geschäftsleitung. Er fügt aber sogleich an: Wenn es zwei Bewerber mit gleich guten Qualifikationen gebe, dann entscheide man sich für FINTA* / BIPoC. Vorausgesetzt, «das Bauchgefühl sowie die Sympathie stimmen und die Person passt ins bestehende Team».
Den Zusatz in Stellenausschreibungen habe man vor drei Jahren angebracht. «Weil es für uns selbstverständlich ist, ein Team möglichst divers zu besetzen.» Man wolle die «gesellschaftliche Realität auch im Arbeitsalltag abbilden».
Dass dies für andere Personengruppen abschreckend sein könne, das beobachtet Emmenegger nicht. «Wir erhalten auch viele Bewerbungen von weissen Männern.»
Non-binäre sollen durch Zusatz ermutigt werden
Der Verein «Helvetiarockt», der sich für FINTA* im Schweizer Musikbusiness starkmacht, schreibt den Zusatz für Minderheiten ebenfalls in Ausschreibungen. Das sei wichtig, sagt Lula Pergoletti. «Damit sich FINTA* und/oder BIPoC von der Ausschreibung angesprochen fühlen. Und so eher ermutigt werden, sich zu bewerben.»
Gemischte, diverse Teams würden bessere Resultate erzielen, ist man sich sicher. Sich für Inklusion, Diversität und Partizipation einzusetzen, sei nur nachhaltig, wenn diese in Struktur und Arbeitskultur verankert seien.
Kritik vom Arbeitgeberverband: «Diskriminierung hat keinen Platz»
In der Kultur-Branche ist die Minderheiten-Bevorteilung üblich. Kein Fan davon ist der Arbeitgeberverband.
«Arbeitgeber freuen sich über jede Bewerbung. Wichtig ist, dass eine Person die richtigen Fähigkeiten für einen Beruf mitbringt. Diskriminierung und Stigmatisierung haben im Arbeitsmarkt keinen Platz. Dies gilt in jeder Situation, sei es im Bewerbungsprozess oder am Arbeitsplatz selbst», stellt Kommunikationsleiter Jonas Lehner klar.