Am HB Zürich wird mit Heroin-Ersatz von der Abgabestelle gedealt
Seit der Pandemie erhalten Suchtbetroffene ihren Stoff bei Drogenabgabestellen in Wochenrationen. Jetzt wird klar: Dieser wird teils weiterverkauft – am HB.
Das Wichtigste in Kürze
- Am Gleis 3 am Zürcher HB wird mit dem medizinischen Heroin-Ersatz Diaphin gedealt.
- Suchtkranke erhalten Diaphin an Drogenabgabestellen, im Kampf gegen offene Drogenszenen.
- Seit der Pandemie kriegen die Betroffenen den Stoff in Wochen- statt Tages-Rationen.
- Die Meinungen zur Lockerung gehen auseinander.
Weiss man davon, ist es offensichtlich: Am Gleis 3 des Zürcher Hauptbahnhofs wird gedealt. Und zwar mit Diaphin – einem medizinischen Heroin, welches Suchtkranken im Kampf gegen die offene Drogenszene zur Verfügung gestellt wird. Sie können den Heroin-Ersatz bei Drogenabgabestellen holen gehen, um das gestreckte «Gassenheroin» zu meiden.
Dieses Modell hat laut Thilo Beck, dem Co-Chefarzt Psychiatrie bei der «Arud», viele Vorteile: «Das ist eine der wirksamsten Therapien. Wir erreichen damit eine Verbesserung der Gesundheit und eine Verminderung des Sterberisikos», sagt er der «Rundschau».
Gelockerte Abgaben seit der Pandemie
Die Arud ist die grösste Abgabenstelle der Schweiz. Die Süchtigen erhalten hier ihre wöchentliche Dosis an Stoff. Vor der Corona-Pandemie wurde das Diaphin nur selten für mehrere Tage ausgegeben.
Doch mit dem Ausbruch der Pandemie wurden die Abgabebedingungen gelockert. Heute erhalten rund 450 Personen in Zürich ihr Diaphin gleich für mehrere Tage – oder gar eine ganze Woche. Diese Lockerung hat jedoch Schattenseiten: Seit Beginn der Pandemie wird von der Polizei jährlich mehr als doppelt so viel Diaphin sichergestellt wie vorher.
Denn: Damit wird gedealt.
Die Dealerstelle Gleis 3 ist nur etwa 100 Meter von der Abgabestelle entfernt. Viele Abhängige verkaufen ihr Diaphin hier auf dem Schwarzmarkt weiter – um sich damit ihren weiteren Konsum zu finanzieren.
In der Zürcher Drogenszene sei dies ein offenes Geheimnis, sagt ein Süchtiger aus Zürich in der Sendung. Besonders gefährlich: Für Nicht-Abhängige kann schon die kleinste Menge an Diaphin tödlich sein.
Trotz Kritik an dieser lockeren Mitgabepraxis hält Psychiater Thilo Beck daran fest: «Wir wissen, dass die meisten sehr korrekt und verantwortungsvoll mit der Medikation umgehen. Nur ein kleiner Teil hat Schwierigkeiten».
Die Betroffenen sollten so autonom wie möglich sein. Und er geht noch weiter: Er könne sich sogar Mitgaben von bis zu einem Monat vorstellen, sagt Beck.
Autonomie und Kontrolle – eine Gratwanderung
Diese Meinung wird nicht überall geteilt. Ein Süchtiger aus Chur geht drei bis vier Mal pro Woche zur Abgabestelle in Chur. Diese ist eine der strengsten Abgabestellen schweizweit.
Er erzählt: «Niemals eine Abgabe wie in Zürich, das könnte ich nicht haben. Wenn ich so viel zur Verfügung hätte und mal einen sehr schlechten Tag haben würde, dann würde ich abstürzen. Ein Süchtiger kann nicht mit der Droge umgehen – sonst wäre er ja nicht süchtig», erzählt er im Beitrag.
Die strenge Abgabestelle in Chur habe ihn vom Mischkonsum weggebracht. Doch das richtige Mass an Autonomie und Kontrolle zu finden, sei schwierig. Die strenge Abgabestelle in Chur würde viele Betroffene abschrecken. Der Stadtpark Chur ist zurzeit eine der grössten offenen Drogenszenen in der Schweiz.