Architektur: Immer mehr Menschen fordern Häuser wie früher
Traditionelles statt flaches Dach und warme Farben statt Grau: Viele wünschen sich die Architektur von früher zurück. Doch es gibt auch Kritik.
Das Wichtigste in Kürze
- Heute bauen wir ganz anders als noch vor 100 Jahren.
- Das passt einigen gar nicht – sie fordern eine Rückkehr zum alten Stil.
- Architekten üben Kritik. Die Alte-Häuser-Bewegung sei politisch motiviert.
Sie protestieren gegen die «Verhässlichung» der Städte und fordern, dass Häuser gebaut werden wie früher: die Mitglieder der sogenannten Architektur Rebellion (englisch Architectural Uprising), die Ableger in ganz Europa hat – auch in der Schweiz.
Die Bewegung ist ein wachsender Social-Media-Hit: International hat sie Hunderttausende Follower. Für Peter Olsson, der sie in Schweden leitet, wenig erstaunlich. Ihm zufolge bevorzugt eine Mehrheit der Menschen alte Architektur.
Darum findet er es fraglich, warum modernistische Architektur seit fast 100 Jahren «völlig dominiert», sagt er zu Nau.ch.
«Viele Menschen glauben, dass Architektur aufgrund von technischen oder wirtschaftlichen Prioritäten hässlich ist.» In Wirklichkeit würden Architekten in der Ausbildung auf modern getrimmt: «Sie ziehen Asymmetrie der Symmetrie vor, wählen kalte statt warme Farben und flache statt traditionelle Dächer.» Wer den klassischen Stil lernen wolle, «wird oft belächelt».
Alte-Häuser-Bewegung dank Krisen erfolgreich
Aus Fachkreisen gibt es Gegenkritik. Architektur-Professor Stefan Kurath von der ZHAW sagt zu Nau.ch, es gehe nicht wirklich um Architektur – «sondern um Politik».
Architektur Rebellion sei der Versuch, Unsicherheiten und Ängsten entgegenzuwirken. «Sie verweisen auf die guten alten Zeiten und Traditionen. Das ist typisch in Krisen und Zeitenwenden, wie wir sie heute erleben.»
Es spreche gar nichts dagegen, alte Häuser schön zu finden. Aber die Aussage von Olsson, wonach die Studierenden auf modern getrimmt würden, stimme keineswegs.
«Die grosse Masse an Neubauten hat wenig mit dem zu tun, was an Architekturschulen unterrichtet wird. Da geht es einzig um Kosten und Rendite.» Das schmerze auch die Architektinnen und Architekten.
Der Laie sehe am Schluss das Flachdach und den Minimalismus – «und denkt, das sei moderne Architektur. Dabei haben diese Bauten damit rein gar nichts zu tun.»
Sehe man sich stattdessen die Resultate zeitgenössischen Architekturschaffens – zumindest in der Schweiz – an, erkenne man: «Das Ganze ist viel hochwertiger, bunter, vielschichtiger, feingliedriger und gestalteter.»
Anstatt sich damit zu befassen, stelle Architektur Rebellion «hässliche Flachdachbauten» den schönsten historischen Häusern gegenüber. «Das zeigt, dass sie wenig Interesse an einem Fachdiskurs haben.»
Rechte verbreiten Alte-Häuser-Propaganda
Auch Caspar Schärer, Generalsekretär beim Bund der Schweizer Architektinnen und Architekten, übt Kritik: «Dahinter stecken oft Menschen, die sich auch die gesellschaftlichen Werte von früher zurückwünschen.»
Beim Schweizer Ableger erkennt er rechtskonservative Symbolik etwa in einem Post, in dem Vintage-Mode gelobt und heutige Kleider herabgewertet werden. «Da klingeln bei mir die Alarmglocken.»
Tatsächlich vergleichen Rechtspopulisten wie Trump-Fan Tucker Carlson im Netz immer wieder alte Gebäude mit modernen. Die Botschaft ist klar: Alt sei gut, neu sei böse. Werte, die sie eben nicht nur auf Häuser, sondern auch auf die gesellschaftliche Ordnung übertragen.
Die Kritik weist Peter Olsson vehement von sich. «Die Sehnsucht nach schönen Lebensräumen hat nichts mit politischer Einstellung zu tun!» Im schwedischen Göteborg, wo Olsson lebt, würden vor allem die Sozialdemokraten für traditionelle Architektur kämpfen.
Er streitet dennoch nicht ab, dass rechte Politiker mit schönen Häusern für ihre konservative Agenda werben. Aber: «Die Tatsache, dass die Gegner versuchen, uns zu schubladisieren, sagt mehr über sie als über uns aus. Sie wollen so nur eine Diskussion über das eigentliche Thema vermeiden.»
Legt Architektur bald wieder mehr Wert auf Schönheit?
Olsson hat keine Zweifel daran, dass seine Forderungen realistisch sind – dass also bald wieder öfter traditionell gebaut wird. Der Schweizer Zukunftsforscher Georges T. Roos dagegen ist skeptisch. Es mache keinen Sinn, zu bauen wie vor 100 Jahren.
Trotzdem ist er überzeugt, dass in Zukunft schön gebaut wird: «Architektonische Qualität wird wichtiger, nicht zuletzt deswegen, weil wir verdichten müssen, um das Bevölkerungswachstum aufzufangen. Verdichtetes Bauen hat nur Wohnqualität, wenn es auch ästhetische Qualitäten hat.»