Armuts-Organisationen schlagen nach Prämienschock Alarm
Sechs Prozent mehr! So stark ist der Prämienanstieg im Durchschnitt fürs nächste Jahr. Die Caritas und die Winterhilfe rechnen mit einem Anstieg bei Gesuchen.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Krankenkassenprämien steigen definitiv um sechs Prozent.
- Für Haushalte mit tiefem Einkommen stellt das eine besonders hohe Belastung dar.
- Schweizer Armuts-Organisationen rechnen damit, dass sie mehr Menschen aufsuchen werden.
Prämienexplosion, Prämienhammer, Prämienschock: Die Ankündigung, dass im nächsten Jahr die Krankenkassenprämien um sechs Prozent steigen werden, hallt nicht nur in den Schlagzeilen nach. Auch Organisationen, die sich für Armutsbetroffene und Armutsgefährdete einsetzen, schlagen Alarm.
Die Caritas-Sprecherin Daria Jenni etwa warnt bei Nau.ch: «Haushalte mit tiefen Einkommen geraten durch die Erhöhung noch stärker unter Druck.»
Menschen, die bei der Caritas Hilfe suchen, hätten «keinerlei finanziellen Handlungsspielraum». Allein schon wegen der steigenden Wohnungsmieten und der Teuerung bei Lebensmitteln und Mobilität.
Medizinische Unterversorgung droht – «tickende Zeitbombe»
«Wenn nun die Krankenkassenprämien noch einmal steigen, müssen sie diesen Betrag an einem anderen Ort einsparen. Beispielsweise beim Essen oder bei der Gesundheit.» Schon heute würden viele auf notwendige Behandlungen und Hilfsmittel wie Brille verzichten. Viele verschulden sich zudem.
Monika Stampfli, Geschäftsführerin der Winterhilfe, warnte bereits am Vortrag der Prämien-Ankündigung in einer Mitteilung: «Medizinische Unterversorgung aus finanziellen Gründen kann eine tickende Zeitbombe sein.»
Ein anschauliches Beispiel liefert Winterhilfe-Sprecherin Esther Güdel auf Anfrage von Nau.ch: «Wenn eine Person über längere Zeit auf die dentalhygienische Kontrolle verzichtet und dann eine Zahnsanierung im grösseren Stil benötigt.»
Güdel erklärt: «Eine solche übersteigt meist die finanziellen Möglichkeiten auch von Nicht-Working-Poor und greift die Reserven an.» Der Begriff Working-Poor meint Personen, die trotz Arbeit arm sind.
Täglich erhält die Winterhilfe Gesuche von Menschen mit einem knappen Budget. Sie übernimmt unter anderem dringende Rechnungen für Menschen am Existenzminimum.
Armuts-Organisation gibt mehr Geld für Gesundheitskosten aus
Und die steigenden Gesundheitskosten gehen auch für die Organisation ins Geld. Im Geschäftsjahr haben die Ausgaben der Winterhilfe für das Projekt Gesundheitskosten um 16 Prozent zugenommen: um mehr als 200'000 Franken auf 1,4 Millionen Franken.
Dazu, ob dieser Budgetposten wegen des Prämienanstiegs künftig noch einen grösseren Posten ausmachen wird, kann die Winterhilfe keine Prognosen abgeben. Vor dem aktuellen Wachstum waren die Ausgaben für Gesundheitskosten im Zeitraum zwischen 2020 und 2023 gleichbleibend gewesen.
Esther Güdel sagt aber: «Allgemein beobachten wir in einigen Kantonen eine verstärkte Nachfrage nach unseren Unterstützungsleistungen.»
Viele fragten erst spät nach Hilfe. Oder nähmen Hilfe nicht an, obwohl sie eigentlich Anspruch hätten. Gemeint sind damit unter anderem die Prämienverbilligungen von Bund und Kantonen.
Güdel sagt deshalb auch: «Nicht alle Haushalte in der Schweiz werden von diesem drohenden Prämienanstieg gleich betroffen sein.»
Klar sei aber, dass jene, die bereits heute an der Armutsgrenze leben, «sehr gefordert» seien. «Um der drohenden Verschuldung zu entgehen, müssen sie sich noch mehr einschränken und verzichten zum Beispiel auf Ferien und Erholung.»
Die Armutsgrenze liegt derzeit bei 4010 Franken für eine Familie mit zwei Kindern.
Gesundheitskosten «grösstes Thema» in Beratungen
Auch die Caritas bereitet sich auf eine verstärkte Nachfrage vor: «In unseren Sozial- und Schuldenberatungen verzeichnen wir in den letzten Jahren einen stetigen Anstieg der Beratungsgespräche.»
Wie genau sich das in den kommenden Monaten entwickeln wird, sei schwierig abzuschätzen. Aber: «Tendenziell ist aber mit einem weiteren Anstieg zu rechnen.»
Denn: «Die steigenden Gesundheitskosten sind das grösste Thema in den Sozialberatungen.» Neben den Krankenkassenprämien bereite vielen auch der Selbstbehalt Probleme. «Ein sehr grosser Teil der Menschen, die wir beraten, hat Zahlungsrückstände bei den Krankenkassen.»
Hoffnung setzt die Caritas auf die Politik. Nach dem Nein zur Prämien-Entlastungs-Initiative tritt der indirekte Gegenvorschlag in Kraft. Damit werden die Kantone verpflichtet, einen Mindestbeitrag zur Finanzierung der Prämienverbilligung zu leisten.
«Der Gegenvorschlag muss so schnell wie möglich umgesetzt werden», fordert Jenni. «Prämien müssen so verbilligt werden, dass die Krankenkassenprämien kein Armutsrisiko mehr darstellen.»