Angst

Besucherin wird in Thun BE an einem Abend dreimal belästigt

Rowena Goebel
Rowena Goebel

Thun,

Eine junge Frau wartet am Bahnhof Thun auf eine Kollegin und wird dabei zweimal belästigt. Nach dem Treffen passiert es gleich noch mal.

Thun
Eine junge Frau wird am Bahnhof Thun von zwei Typen belästigt – sie sitzen fast genau an der Stelle wie die beiden abgebildeten Passanten. (Archiv) - Google Streetview

Das Wichtigste in Kürze

  • Eine junge Frau wird am gleichen Abend in Thun BE dreimal belästigt.
  • Zwei Typen pfeifen ihr hinterher, einer folgt ihr und redet auf sie ein.
  • Solche Fälle sind in der Schweiz sehr häufig. Täter sind fast immer Männer.

Samstagabend. Touristen, Oktoberfest-Gäste und die letzten Shopper ziehen durch das beschauliche Städtchen Thun im Berner Oberland. Unter ihnen ist auch die Stadtbernerin Oceana Herzog* – mit einer Freundin hat sie sich zum Znacht verabredet.

«Ich war etwas früh dran», erinnert sie sich bei Nau.ch. Beim vereinbarten Treffpunkt gegenüber dem Bus-Schalter will sie auf ihre Kollegin warten.

«Unterwegs spürte ich plötzlich bohrende Blicke im Rücken. Dann hörte ich ein Pfeifen und Gejohle.» Herzog dreht sich um – und sieht zwei junge Typen, die sie anstarren.

«Brauchst du zweiten Freund?»

Ihr graut es: Um zum Treffpunkt zu kommen, an dem sie mit ihrer Kollegin abgemacht hat, muss sie an ihnen vorbei. «Ich habe einen grossen Bogen um sie gemacht, fühlte aber die ganze Zeit, wie sie mich anstarrten. Möglichst weit von ihnen entfernt wartete ich dann.»

Herzog stellt sich extra so hin, dass die Typen sie nicht sehen. Doch vergebens – sie drehen sich suchend nach ihr um.

Dann steht einer auf und läuft quer über die Strasse zu ihr.

Der Mann, vielleicht 25 Jahre alt, klein gewachsen mit vernarbtem Gesicht und rotem Sweater, stellt sich direkt vor sie.

«Bist du von hier? Was machst du da? Bist du oft hier?», fragt er in gebrochenem Deutsch.

Einsilbig gibt Herzog Antwort, in der Hoffnung, ihn abwimmeln zu können. «Der Typ machte mir Angst

Erst, als Oceana Herzog einen Mann ins Spiel bringt, lässt er von ihr ab. «Er fragte mich, auf wen ich warte, also behauptete ich, mein Freund komme gleich.» Prompt antwortet der Mann: «Brauchst du einen zweiten Freund?»

Als Herzog «nein, merci» erwidert und davonläuft, lässt er sie endlich in Ruhe.

Mann lässt Fenster runter und grölt Frauen an

In den wenigen Minuten, die sie am Bahnhof Thun verbracht hat, ist sie somit angepfiffen und verbal belästigt worden. Doch damit nicht genug: Als Oceana Herzog am späteren Abend mit ihrer Kollegin zum Bahnhof zurückspaziert, kommt es zum dritten Vorfall.

«Ein Typ in einem tiefgelegten Auto bremste neben uns ab, liess das Fenster runter und grölte uns etwas nach.» Dann sei er davon gefahren.

Wurdest du schon einmal auf der Strasse belästigt?

«Dreimal an einem Abend! Ich bin selten in Thun, darum habe ich mich schon gefragt, ob das dort normal ist. So etwas ist mir sonst noch nie passiert.»

Sexuelle Belästigungen in der Schweiz «sehr häufig»

Die Kantonspolizei Bern beschwichtigt auf Anfrage von Nau.ch: «Bezüglich der Region Bahnhof Thun stellen wir keine aussergewöhnliche Situation fest.» Sowohl das Thuner Busunternehmen STI als auch die Stadt Bern verweisen auf Anfrage auf die Polizei.

Klar ist: Verbale sexuelle Belästigung, sogenanntes Catcalling, ist kein Problem, das man nur im Berner Oberland kennt.

«Sexuelle Belästigungen kommen in der Schweiz sehr häufig vor», sagt Kriminologe Dirk Baier zu Nau.ch. Je nach Studie berichten zwischen 20 und 60 Prozent der Frauen in der Schweiz, schon sexuelle Belästigungen erfahren zu haben.

Bahnhöfe und ÖV sind Belästigungs-Hotspots

Zahlen spezifisch zu Catcalling gibt es aus den Meldetools der Städte Bern und Zürich.

Laut der Stadtberner Gleichstellungsfachstelle wurden im ersten Jahr nach der Einführung im April 2023 312 verbale Belästigungen gemeldet. Das sind 45,4 Prozent aller gemeldeten Vorfälle.

20,4 Prozent betrafen Belästigung mit Geräuschen, beispielsweise Pfeifen. Knapp ein Drittel aller Belästigungen haben sich im ÖV oder an Haltestellen abgespielt.

In Zürich passieren verbale Belästigungen am häufigsten auf offener Strasse und im ÖV, wie Zahlen des lokalen Meldetools zeigen. Im ersten Halbjahr 2024 sind 120 Meldungen zu verbaler sexueller Belästigung eingegangen.

«Als ob es ihnen zusteht»

Bei der Polizei angezeigt werden laut Dirk Baier nur rund zehn Prozent aller Belästigungen. Ein Grund dafür: «Opfer geben sich oft selbst die Schuld.»

Solche Gedanken kamen auch Herzog. «Ich weiss genau, dass man das nicht tun sollte. Trotzdem habe ich mich reflexartig gefragt, ob ich irgendwie falsche Signale gesendet hatte.»

Baier stellt klar: «Schuld sind einzig und allein die Tatpersonen.»

Bist du gut über Geschlechterungleichheiten informiert?

Manchen mag ein Nachpfeifen oder Ansprechen vielleicht als harmlos erscheinen. Doch der Kriminologe warnt vor Folgen für die Opfer: «Grundsätzlich sinkt die Lebenszufriedenheit und die psychische Gesundheit. Die Furcht davor, Opfer zu werden, steigt.»

Zurück bleiben auch bei Oceana Herzog Angst und Ärger. Sie hat ein derart mulmiges Gefühl, dass sie sich an dem Abend nicht getraut, allein nach Hause zu gehen. «Zum Glück konnte mich jemand abholen.»

Was sie noch Tage danach beschäftigt: «Diese Selbstverständlichkeit – als ob es ihnen zusteht, mich so zu behandeln, weil ich eine Frau bin. Unglaublich!»

Täter «fast immer» Männer – oft mit Migrationshintergrund

Tatsächlich trifft sexuelle Belästigung vor allem Frauen, erklärt Baier. Tatpersonen sind – wie bei den Fällen in Thun – zu 90 Prozent Männer.

Kriminalstatistische Daten und Befragungsstudien zeigen zudem: Menschen ausländischer Herkunft sind zirka doppelt so häufig Tatperson, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. «Insofern gilt: Migranten sind häufiger Täter», sagt Baier.

Eine Rolle spielen dabei laut dem Experten die in verschiedenen Herkunftsgruppen zu findenden «Männlichkeitsbilder und Macho-Normen».

Asyl
In Schweizer Flüchtlingsunterkünften werden Themen wie Gleichstellung und Geschlechterrollen in der Schweiz thematisiert. (Archivbild) - keystone

Er fordert: «Dieses Dominanzgebaren, das Frauen herabsetzt, muss gesellschaftlich bekämpft werden. Auch bei Schweizer Männern, die ja immerhin die Hälfte der Tatpersonen stellen.»

Wichtig sei in erster Linie Prävention, die auf junge Männer abzielt. «Es ist sicherlich richtig, dass in Flüchtlingsunterkünften zum Thema Gleichstellung, Geschlechterrollen in der Schweiz und so weiter gearbeitet wird. Aber genauso gehört das Wissen um dieses Thema in jede Schule, in jede Klasse.»

Jeder Mann müsse begreifen, dass keine Frau so angesprochen werden will.

***

Brauchst du Hilfe?

Bist du Opfer von sexualisierter Gewalt geworden? Die Opferhilfe hilft dir dabei, die Erfahrung zu bewältigen und informiert dich über deine Rechte und weitere Schritte: www.opferhilfe-schweiz.ch.

*Name von der Redaktion geändert

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