Coronavirus: Schock laut Psychologe vergänglich

Rowena Goebel
Rowena Goebel

Zürich,

Seit bald einem Jahr dominiert das Coronavirus unseren Alltag. Die Pandemie forderte hierzulande fast 7600 Menschenleben. Traumatisiert das die Gesellschaft?

Coronavirus
Pflegepersonal kümmert sich um einen am Coronavirus erkrankten Patienten im Zürcher Triemlispital. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Fast 478'000 Menschen haben sich in der Schweiz mit Corona infiziert, knapp 7600 sind tot.
  • Ein Schweizer Theologe und Seelsorger befürchtet eine Traumatisierung der Gesellschaft.
  • Ein Experte relativiert: Ein Trauma im eigentlichen Sinne verursacht die Pandemie nicht.

Mit der andauernden Krise um das Coronavirus hält sich auch die Debatte um die Schutzmassnahmen. Während die einen bereits die aktuellen Corona-Regeln für übertrieben halten, fordern die anderen schärfere Massnahmen.

So auch der Zürcher Theologe und Seelsorger Michael Wiesmann. In einem Video auf Twitter kritisiert er Massnahmen und Kommunikation des Bundesrats. Er ist der Ansicht, dass «wenn man vermeidbarerweise so viele Menschen sterben lässt» ein gesellschaftliches Trauma geschaffen werde.

Coronavirus
Eine Seniorin im Tessin wartet auf ihre Impfung gegen das Coronavirus. - Keystone

Ein solches Trauma sei tiefgreifend und auch vererbbar. «Das führt zu sehr viel Leiden über mehrere Generationen», so Wiesmann. Traumata können tatsächlich vererbt werden – doch kann man bei der Coronakrise überhaupt von einer Traumatisierung der Gesellschaft sprechen? Und was bedeutet der Begriff eigentlich?

Auch punkto Coronavirus gilt: Trauma nicht gleich Trauma

Psychologe Andreas Maercker von der Universität Zürich stellt auf Anfrage von Nau.ch klar: «Es gibt einen fachsprachlichen und einen umgangssprachlichen Traumabegriff.» Der fachsprachliche beziehe sich auf eine aktuelle extreme Todesangst oder Ängste bei schwerster sexualisierter Gewalt. «In diesem Sinne ist die Gesellschaft nicht traumatisiert.»

Im umgangssprachlichen Sinn könne man es zwar sagen. «Aber ich würde es nicht bevorzugen. Das Coronavirus sei vielmehr «eine schwere, andauernde Belastung der Gesellschaft», so Maercker.

Coronavirus
Ein Corona-Patient wird im Berner Inselspital behandelt. Solche Bilder schockieren – fachlich gesprochen verursacht die Coronakrise allerdings keine Traumatisierung der Gesellschaft. - Keystone

Um auf die Frage nach der Vererbung an unsere Nachkommen zurückzukommen: Da die Pandemie fachlich gesehen kein gesellschaftliches Trauma auslöst, wird der Corona-Schock laut Maercker auch nicht weitervererbt.

Neurologe: «Genetik bestimmt nicht, wer man ist»

Schwarzmalerei will auch Neurologe Jürg Kesselring von der Schweizerischen Hirnliga nicht betreiben. «Von einer gesellschaftlichen Traumatisierung zu sprechen, ist meiner Meinung nach nicht praktisch», sagt er über das Coronavirus. «Traumata treffen einzelne Menschen und deren Trauma hat dann auch Auswirkungen auf die Umgebung, in der sie leben.» Es gebe ja auch Leute, die von dieser für uns schrecklichen Situation profitiert hätten.

Coronavirus
Der Neurologe Jürg Kesselring von der Schweizerischen Hirnliga. - Keystone

Wird jemand durch das Coronavirus traumatisiert, heisst das jedoch nicht, dass auch seine Nachkommen unter psychischen Folgen leiden werden: «Ich glaube grundsätzlich nicht, dass die Genetik allein bestimmt, wer man ist. Wir alle haben einen Rucksack mit Genen und Veranlagungen, aber damit kann man immer auch etwas machen. Besonders zusammen mit anderen (hoffentlich wohlgesinnten) Leuten.»

Wie sind Sie bislang mit der Coronakrise umgegangen?

Kesselring, der auch in der Rehabilitation tätig ist, nennt ein Beispiel: «Verliert jemand ein Bein, so kann er mithilfe einer Prothese wieder gehen. Hilfsmittel sollen genutzt werden, dies gilt im psychologischen Bereich genauso.»

Der St. Galler Neurologe zeichnet dabei ein hoffnungsvolles Bild für Betroffene: «Ich habe Tausende Patienten gesehen, die trotz Hirnerkrankungen oder -unfällen ein reichhaltiges Leben führen.»

Kommentare

Weiterlesen

Psychische Gesundheit
7 Interaktionen
Alain Berset
429 Interaktionen
kinder trauma vererbung
5 Interaktionen

Mehr aus Stadt Zürich

Zürich Tram
11 Interaktionen
serbien
4 Interaktionen
FC Zürich Krasniqi Kosovo
3 Interaktionen