Das Coronavirus ist vorerst überwunden, Virologe Andreas Cerny zieht Fazit. Im Interview spricht er über Lockerungen, den Bundesrat und Lehren für die Zukunft.
Coronavirus: Der Schweizer Virologe Andreas Cerny spricht über den grössten Fehler des Bundesrats. - Nau.ch

Das Wichtigste in Kürze

  • Letzte Woche lockerte der Bundesrat die allermeisten Corona-Massnahmen.
  • Obwohl das Virus nicht weg ist, scheint das Schlimmste vorerst überwunden zu sein.
  • Im Video-Interview spricht Virologe Andreas Cerny über die letzten zwei Jahre Pandemie.
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Nau.ch: Herr Cerny, wie haben Sie die erste Woche ohne Corona-Massnahmen erlebt?

Andreas Cerny: In meinem Alltag hat sich nicht viel verändert. Ich arbeite den ganzen Tag mit Maske und sehe, dass Menschen mit gesundheitlichen Problemen nach wie vor vorsichtig sind. Die meisten meiner Patienten haben in geschlossenen Räumen immer noch eine Maske an.

Nau.ch: Trotzdem hat man das Gefühl, dass die Pandemie seit Aufhebung der Massnahmen vorbei ist. Täuscht der Eindruck, dass das Coronavirus innerhalb kurzer Zeit in Vergessenheit geraten ist?

Andreas Cerny: Wir sind in einem neuen Kapitel angelangt, was auch gut ist. Es kommt aber ganz darauf an, in welchem Umfeld man sich befindet.

Coronavirus Zertifikat
Coronavirus: Seit letzter Woche braucht es für Grossveranstaltungen kein Zertifikat und keine Maske mehr. - Keystone

Bei jungen Menschen ist die Normalität zurückgekehrt. Ältere Menschen geniessen die neuen Freiheiten hingegen noch mit grösserer Vorsicht.

Nau.ch: In diesem Fall sorgen Sie sich nicht um eine Bevölkerung, welche das Coronavirus vergisst und keine Rücksicht auf Risikopatienten nimmt?

Andreas Cerny: Ich gehe davon aus, dass die Zahlen weiter sinken werden und wir auch in den Spitälern etwas Luft bekommen. Es weiss aber niemand, ob eine neue Variante kommt. Aktuell scheint die Wahrscheinlichkeit dazu aber nicht sehr gross, da viele Menschen immun sind und höhere Temperaturen kommen.

Nau.ch: Vor ein paar Wochen waren Sie vorsichtig und haben eine langsamere Lockerungsvariante befürwortet. Hat der Bundesrat wirklich zu schnell gelockert?

Andreas Cerny: Das glaube ich schon, ja. Je mehr Massnahmen in Kraft sind, desto schneller sinken die Zahlen. Bei uns gehen die Fallzahlen nur langsam bergab, und es müssen immer Menschen auf die Intensivstation.

Das ganze Video-Interview mit dem Virologen Andreas Cerny. - Nau.ch

Die Freiheit, die wir jetzt haben, hat also ihren Preis. Dennoch zweifle ich nicht daran, dass die Zahlen weiterhin zurückgehen werden.

Nau.ch: Welche Note würden Sie dem Bundesrat für seine Arbeit während der Pandemie geben?

Andreas Cerny: Meine Ausgangslage als Mediziner ist natürlich eine andere als die eines Bundesrats. Doch im Sommer 2020 hätte man für die öffentliche Gesundheit früher reagieren sollen. Die zu späten Massnahmen kosteten viele Menschen das Leben.

Was halten Sie von den Lockerungen des Bundesrats?

Ob man aber wirklich jemandem einen Vorwurf machen kann, weiss ich nicht. Die steigenden Fallzahlen waren ersichtlich, das ist klar. Aber man glaubte wohl einfach nicht, dass es wieder zu vielen Hospitalisierungen kommen wird.

Nau.ch: Welche Lehren sollten aus zwei Jahren Coronavirus gezogen werden?

Andreas Cerny: Die internationale Zusammenarbeit ist sicher ein wichtiger Punkt. Es müsste für einen Bundesrat nicht notwendig sein, für eine Beurteilung der Lage ins Ausland zu reisen.

Coronavirus Spital
Virologe Andreas Cerny glaubt, dass in der dritten Welle viele Todesfälle hätten verhindert werden können. - dpa

Man hätte schon vorher sehen können, dass aus Italien ein grösseres Problem auf uns zukommen wird.

Nau.ch: Obwohl Prognosen während des Coronavirus immer schwierig waren, stellt sich die Frage, was nächsten Herbst passieren wird. Mit welchen Szenarien rechnen Sie?

Andreas Cerny: Im Moment haben wir eine hohe Immunität in der Bevölkerung. Diese Immunität wird aber leider nicht sehr lange bleiben. Wir wissen, dass die Pandemie noch immer aktiv ist und sich neue Varianten bilden können. Ich wäre deshalb vorsichtig optimistisch, um es auf den Punkt zu bringen.

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