Drei Psychiater wegen «Carlos» vor Gericht
In Zürich stehen heute drei Ärzte vor Gericht. Sie sollen den damals 15-jährigen Brian alias «Carlos» tagelang gefesselt haben. Alle fühlen sich «unschuldig».
Das Wichtigste in Kürze
- In Zürich stehen drei Psychiater wegen Freiheitsberaubung vor Gericht.
- Sie sollen den damals 15-jährigen Brian alias «Carlos» 13 Tage lang festgebunden haben.
- Die Angeklagten fühlen sich nicht schuldig.
In der langen Geschichte des jungen Straftäters Brian K.* alias «Carlos» (24) kommt heute ein weiteres Kapitel dazu: Drei Psychiater stehen vor dem Zürcher Bezirksgericht, weil sie Brian im Jahr 2011 ganze 13 Tage lang festgebunden haben sollen.
Die 13 Tage dauernde «7-Punkt-Fixation» mit Gurten wurde in der psychiatrischen Universitätsklinik PUK in Zürich vollzogen.
Der damals 15-jährige Brian sass in Untersuchungshaft, weil er einen anderen Jugendlichen mit einem Messer schwer verletzt hatte. Im Gefängnis versuchte er dann, sich das Leben zu nehmen, worauf er in die Psychiatrie verlegt wurde.
«Carlos» mit Medis und Gurten ruhiggestellt
Dort stellten ihn die drei beschuldigten Ärzte, einer davon ein Vorgesetzter, mit Hilfe von acht verschiedenen Medikamenten und Gurten ruhig. Allerdings nicht nur für wenige Stunden, wie dies ethische Richtlinien vorgeben, sondern für ganze 13 Tage.
Ab dem neunten Tag wurden einzelne Fixierungen zwar gelöst. Der damals 15-Jährige durfte jeden Tag gefesselt und in Begleitung der Polizei eine Stunde spazieren gehen.
Im Grundsatz sei er jedoch angebunden geblieben, in «fast absoluter Bewegungslosigkeit», schreibt der Staatsanwalt in der Anklageschrift. Für ihn ist dies klar eine Misshandlung, denn Fixierungen seien «so kurz wie möglich zu halten».
Anklage: Freiheitsberaubung
Die Anklage fordert deshalb, die drei Psychiater wegen Freiheitsberaubung und wegen Gehilfenschaft zu Freiheitsberaubung schuldig zu sprechen.
Brian verfolgt den heutigen Prozess als Privatkläger per Video in einem anderen Raum des Bezirksgerichts. Vier Polizisten bewachen ihn. Auch die Therapeutin von Brian ist anwesend.
Als erster befragt der Richter einen deutschen Psychiater (70). Er war bis 2014 Chefarzt an der psychiatrischen Universitätsklinik PUK. Er war mit der Zwangsfixierung einverstanden.
«Für mich gab es damals keine Alternative», sagt der Arzt. «Es gab damals keine jugendforensische Einrichtung in der Schweiz.»
Es gebe fixe Regeln: «Suizidale Patienten dürfen nicht isoliert werden.» Im Isolierzimmer hätte Brian den Kopf gegen die Wand schlagen können. Die Fixierung sei regelmässig überprüft worden. «Unser Ziel war immer, mit ihm in Kontakt zu treten.»
Psychiater ging von «sehr hoher Selbstgefährdung» aus
Als zweiter Psychiater wird der Arzt (58) befragt, der damals als leitender Arzt die Zwangsfixierung direkt angeordnet hatte. «Ich ging von einer andauernden, sehr hohen Selbstgefährdung des Patienten aus.»
Im Juli 2011 hatte Brian im Gefängnis einen Tobsuchtsanfall. «Nur mit dem Einsatzkommando der Polizei war es möglich, ihn zu kontrollieren.» Er habe Medikamente «zur Beruhigung und zur Heilung» bekommen. «Ich fühle mich komplett unschuldig», sagt der Psychiater.
Brian habe ihn angespuckt und gedroht, ihn zusammenzuschlagen. «Alle Experten stuften ihn als hochgefährlich ein.»
Angeklagter fühlt sich unschuldig
Der dritte Psychiater (59) arbeitet auch als Universitätsprofessor und ist in der Geschäftsleitung der PUK. «Das direkte Gespräch mit dem Patienten war nicht möglich. Er wurde uns ja mit dem primären Auftrag überwiesen, eine psychische Erkrankung zu behandeln.»
Das Isolierzimmer sei nicht absolut gesichert. «Es ist sehr gut möglich, sich schwer zu verletzen.»
Die Fixierung sei medizinisch richtig gewesen. Die Diagnose sei unklar gewesen. «Wir gingen davon aus, dass es sich um eine Impulskontrollstörung, eine psychotische Erkrankung und Ängste handelte.»
Die Medikamente seien gerechtfertigt gewesen. «Ich fühle mich unschuldig», sagt auch der dritte Psychiater.
Staatsanwalt fordert Geld- und bedingte Gefängnisstrafe
Der Staatsanwalt fordert in seinem Plädoyer für zwei Psychiater wegen Gehilfenschaft je eine bedingte Geldstrafe von 36’000 Fr. und 45’000 Fr. Der Arzt, der die Fixierung als Erst-Arzt anordnete, soll wegen Freiheitsberaubung mit einer 14monatigen bedingten Gefängnisstrafe sanktioniert werden.
In diesem Fall sei Brian nicht Täter, sondern Opfer. «Er musste seinen 16. Geburtstag an einem Bett gefesselt verbringen», sagt der Staatsanwalt.
«Eine solche Zwangsfixierung ist eine unmenschliche Behandlung, die durch nichts zu rechtfertigen ist.» Diese «Misshandlung» halte man nur mit einer extremen Medikation aus. Brian sei die meiste Zeit schläfrig gewesen und habe sich selbst nicht gespürt.
Rechtsschutz ausgehebelt
Auch der Rechtsschutz sei «ausgehebelt» worden. Brian hätte zehn Tage Zeit gehabt, gegen die Fixierung bei einem Richter Einsprache zu erheben. Isolierungen und Fixationen sollten laut medizinisch-ethischen Richtlinien lediglich Stunden dauern. «Die Überprüfung der Verhältnismässigkeit wurde sträflich vernachlässigt.»
Die Total-Fesselung ans Bett sei erst nach einer Woche etwas gelöst worden. «Eine Fixation von 13 Tagen ist gänzlich unverhältnismässig.»
Anwalt von Brian kritisiert Verfahrensdauer
Der Anwalt von Brian kritisiert, dass der Staat ab der Anzeige 2011 ganze neun Jahre bis zum Prozess brauchte. «Das Beschleunigungsgebot wurde massiv missachtet.» Wenn es sich um ein südliches Nachbarland handeln würde, spräche man von einer Bananrepublik.
Eine Fixierung könne nur eine kurzfristige Massnahme sein. «Brian spielte mit seiner Betreuerin Uno in seiner Zelle und wurde dann direkt in die Psychiatrie eingewiesen.» Er sei wegen eines Suizidversuchs in die PUK eingewiesen worden, und nicht wegen Fremdgefährdung.
Die Fixierung sei von Anfang an nicht gerechtfertigt gewesen. Nach einer Woche durfte Brian täglich eine Stunde spazieren gehen. «Er war dabei wegen der Fixierung und Medikation entkräftet.»
Alle drei Ärzte müssten wegen Freiheitsberaubung verurteilt werden. «Es ist wichtig, dass der Staat hier die Rechtsstaatlichkeit durchsetzt», sagt der Anwalt von Brian.
Brian nannte Ärzte «Hunde»
Der erste Verteidiger fordert einen Freispruch für seinen Mandanten plus 45’000 Fr. Entschädigung für die Anwaltskosten. «Der Umgang mit Brian war vor neun Jahren besonders schwierig», sagt er. «Es war eine hohe Fremd- und Selbstgefährdung anzunehmen. Die Fixierung war gerechtfertigt, weil es keine Alternativen gab.»
Brian hatte zuvor kurz hintereinander zwei Suizidversuche gemacht. Er habe sich den Ärzten in der PUK total verweigert. «Brian sagte, er wolle mit diesen Hunden niemals ein Gespräch führen», sagt der Verteidiger.
Die Psychiater suchten einen Platz für Brian in der geschlossenen psychiatrischen Klinik Rheinau ZH. Dort war aber im Hochsicherheitstrakt zuerst nichts frei.
Brian will zurück in den Knast
Mitten im ersten Plädoyer der Verteidigung verabschiedet sich Brian. Um 13 Uhr 48 will er zurück in den Pöschwies-Knast. Das Gericht lässt ihn durch Beamte der Spezialeinheit Diamant der Kantonspolizei Zürich in die Strafanstalt in Regensdorf zurückfahren.
Auch die beiden anderen Verteidiger verlangen einen Freispruch für ihre Mandanten. Es sei eine absolute Ausnahmesituation für die PUK gewesen.
«Hochgradig aggressiv»
«Das extreme Gewaltpotential von Brian konnte nicht anders als mit einer Fixierung kontrolliert werden», sagt der Verteidiger des Erst-Arztes. «Er war absolut gefährlich. Ein Gewaltausbruch von Brian wäre in eine Katastrophe ausgeartet.»
Der andere Verteidiger fordert für seinen Mandanten noch eine Entschädigung von 50'000 Fr. «Das Gericht tut gut daran, nicht auf der Empörungswelle mitzureiten», sagt er. «Brain fluchte, bespuckte und bedrohte die PUK-Mitarbeiter. Er war hochgradig aggressiv.»
Im Schlusswort sagen einer der Psychiater: «Es tut mir leid, dass Brian so lang fixiert werden musste.» Es brauche aber Gesprächsbereitschaft. Eine therapeutische Allianz sei mit Brian nie zustande gekommen.
Das Urteil wird noch heute Abend eröffnet.