Elternabend in Schlieren ZH artet aus: «Halt de Latz»
An einem Elternabend spricht ein Lehrer in Schlieren ZH Missstände an. Die Schulleitung handelt sofort: Indem sie ihn feuert.
Das Wichtigste in Kürze
- In Schlieren ZH kommt es an einem Elternabend zum Eklat.
- Während die Schulleitung alles schönredet, spricht ein Lehrer Tacheles.
- Die Folge: Er wird gefeuert. Die Schule selbst erzählt eine andere Geschichte.
Der Lehrermangel hat die Schweiz fest im Griff. An Schweizer Schulen gibt es darum immer mehr Quereinsteiger für Lehrberufe.
Bern will etwa Lehrer aus der Ukraine anstellen. Und eine Aargauer Kreisschule stellte Mitte Jahr einen Musiker und Handwerker ohne pädagogische Qualifikationen als Lehrer an.
Ein weiteres Beispiel bildet nun der Fall von Samuel Wimmer: Der 56-Jährige ist ehemaliger Modefotograf und mittlerweile seit sieben Jahren als Lehrer tätig.
Oder besser gesagt: War als Lehrer tätig.
Wimmer unterrichtete als Quereinsteiger im Schulhaus Kalktarren in Schlieren ZH. Wegen Krankheitsfällen über mehrere Wochen sogar ganze drei Sekundarklassen.
Trotz seiner Erfahrung und sogar einer absolvierten Schulleiterausbildung ist er seinen Job nun los. Die Umstände seiner Entlassung sorgen für heftige Diskussionen. Eltern und Schüler sind sprachlos.
Elternabend wird zum Brennpunkt
Die Situation eskaliert an einem Elternabend, zu dem auch Schulpräsidentin und Stadträtin Bea Krebs (FDP) geladen ist. Wimmer weiss im Vorfeld: Die Lage ist angespannt.
So sehr, dass die besorgten Eltern sogar einen eigenen Chat eingerichtet haben, um sich über die Lage austauschen. Darüber berichten heute die Tamedia-Zeitungen.
Die Schulleitung beruhigt: Es werde nach Lehrplan unterrichtet, Prüfungen seien ausreichend vorhanden, und alles verlaufe regulär.
Doch als ein Vater nach einer Stunde seine Bedenken äussern will, wird er kurzerhand abgewimmelt. Da platzt Wimmer der Kragen.
Wimmer schlägt Alarm
Er meldete sich zu Wort. Die Schulleitung versucht, ihm Einhalt zu gebieten.
Doch er lässt sich nicht beirren, tritt nach vorne und schildert die Zustände: fehlende Lehrmittel, Dreck im Klassenzimmer und defekte Möbel.
Normaler Unterricht? So nicht möglich.
Den Tamedia-Zeitungen sagt Wimmer: «Seit ich als Lehrer und Schulleiter arbeite, bin ich oft auch Anwalt. Und zwar für jene Kinder, die an der Schule sonst keine Stimme haben.»
Nachdem sich Lehrer für Schüler einsetzt: Kündigung!
Die Reaktion des Schulleiters kommt prompt und drastisch: «Halt de Latz! Du bist gefeuert!» Die Eltern im Saal hätten mit Buh-Rufen und Solidaritätsbekundungen für Wimmer reagiert.
Laut Wimmer ist die Stimmung so aufgeheizt, dass es beinahe zu Gewalt kommt. Eine Schulpflegerin eskortiert ihn schliesslich aus dem Raum.
Am darauffolgenden Montag werden die Schüler der betroffenen Klassen mangels Lehrpersonen nach Hause geschickt.
So erzählt es Samuel Wimmer. Vonseiten Schule sieht die Geschichte ganz anders aus.
Schulbehörde bestreitet Vorwürfe
Die Schulbehörde Schlieren weist die Vorwürfe gegenüber den Zeitungen fast alle zurück. Der Elternabend sei nicht eskaliert.
«Unterschiedliche pädagogische Ansichten» hätten zur Kündigung geführt, die bereits vor dem Abend ausgesprochen worden sei.
Wimmer sei die Möglichkeit gegeben worden, sich an diesem Abend zu verabschieden.
Auch die Kritik an fehlenden Lehrmitteln sei unzutreffend, da zunehmend auf digitale Inhalte gesetzt werde.
Schüler: «Viele Schlägereien»
Die Stimmung an der Schule ist getrübt.
Das zeigen neben dem Fall Wimmer auch zahlreiche Google-Bewertungen: «Es gibt viele Schlägereien und in jeder Ecke wird man gepackt», schreibt ein Schüler.
Eine Mutter bezeichnet die Lehrpersonen als «respektlos». Jemand anders gibt ihr recht: «Sie halten sich für etwas Besseres.»
Ein Schüler sei zwei Monate in eine andere Klasse geschickt worden: «Die Lehrperson gab mir keine Arbeitsaufträge und wollte mich nie ins Klassenzimmer hineinlassen.»
Solidarität von Eltern und Schülern
Eltern und Schüler stellen sich hinter Wimmer. Ein Vater schreibt in einem Brief an den Lehrer: «Es ist problematisch, dass alles immer schöngeredet und heruntergespielt wird.»
Schüler loben Wimmer als «guten Lehrer, der mit Leidenschaft unterrichtet hat.»
Die Elterndelegation fordert nun Gespräche mit der Schulleitung und den Behörden, um die Missstände anzugehen.
Der Lehrermangel ist seit Jahrzehnten ein Dauerthema im Bildungswesen.
Bereits 2023 hatte Nau.ch-Politik-Chef Matthias Bärlocher eine augenzwinkernde Lösung parat: Warum nicht einfach «Lehrermangel» zum Schulfach machen?