Fondation Beyeler: Die Erde in Riehen weint
Mit «Palimpsest» erinnert die Fondation Beyeler mit Doris Salcedo an ertrunkene Flüchtlinge. Es ist, als würde der Boden weinen.
Das Wichtigste in Kürze
- Mit ihren Namen gedenkt Doris Salcedo an ertrunkene Flüchtlinge.
- Die Kolumbianerin arbeitet mit dem ewigen Kreislauf der Gewalt und Verzweiflung.
- «Palimpsest» ist momentan in der Fondation Beyeler zu sehen.
Am Boden scheinen die Geister der vergessenen ertrunkenen Flüchtlinge auf: Die kolumbianische Künstlerin Doris Salcedo ruft in einer Installation in der Fondation Beyeler in Riehen deren Namen in Erinnerung. Die Installation fasziniert und berührt.
Wenn man den grossen Raum in der Fondation Beyeler betritt, fühlt es sich an wie Magie. Wie von unsichtbaren Geistern gesteuert scheinen am Boden quecksilbern glänzende Namen auf, die später nach und nach wieder verschwinden.
Die Namen sind zumeist arabischen Ursprungs: Malika Ahmadi oder Mohammad Malek lauten sie. 170 sind es, die übereinandergeschichtet sind. Verschwindet einer der glänzenden Namen, wird darunter schattenhaft ein weiterer Name sichtbar. Es sind magische Momente, mag es in der technischen Beschreibung noch so trocken klingen: «Gemahlener Marmor, Harz, Sand und Wasser, hydraulische Elemente», liest man da.
Fondation Beyeler erinnert an Flüchtlinge
Es sind dies, wie man rasch erahnt, Namen von Flüchtlingen. Von solchen, die auf ihrem Weg übers Meer nach Europa zwischen 2010 und 2016 ertranken. Sie sind damit als Individuen nie in Erscheinung getreten.
Doris Salcedo widmet diesen Menschen, die einen anonymen Tod starben, nun einen Raum der Andacht. Und sie erinnert daran, dass die Träume und Sehnsüchte dieser Menschen nicht verschwunden sind.
Die Kolumbianerin Salcedo gehört zu den bekanntesten Künstlerinnen Lateinamerikas. Ihr vorherrschendes Thema ist der ewige Kreislauf der Gewalt und Verzweiflung. Sei dies nun in ihrem Heimatland Kolumbien oder an der Schwelle vom Süden in den Norden.
Kreislauf sicht- und spürbar
Es ist ihre Passion, diesen Kreislauf sicht- und spürbar werden zu lassen. Es sei sehr schwierig gewesen, Namen der Ertrunkenen zu recherchieren, sagte Salcedo am Freitag an einem Mediengespräch zu Ihrer Installation. Für die Behörden, aber auch für NGOs trügen die Betroffenen meist nur Nummern.
Unter anderem auf Social Media seien sie und ihr Team schliesslich nach fast fünf Jahren Recherche fündig geworden. Es sei eine schmerzhafte Konfrontation mit den Schicksalen der Verstorbenen geworden. Die Jüngste unter ihnen war ein 20 Tage junges Baby, der Älteste ein 64-jähriger Mann. «Wir wollen diesen Menschen den Respekt zollen, den sie im Leben nicht hatten», sagte Salcedo.
«Palimpsest»
Die Künstlerin bringt mit «Palimpsest» gewissermassen die Erde zum Weinen. «Palimpsest» ist ein Fachbegriff für Manuskriptseiten, die mehrmals beschrieben wurden.
Es ist ästhetisch wunderschön, wie Fondation-Direktor Sam Keller bemerkte. Es fasziniert durch eine magisch wirkende technische Umsetzung. Und inhaltlich mach es tieftraurig.
Die Installation «Palimpsest» von Doris Salcedo bleibt bis 17. September. Die Fondation Beyeler wird der Künstlerin im Sommer 2023 zudem eine grosse Sonderausstellung widmen.
