In Waadtländer Gefängnis treffen Opfer auf Täter
Künftig werden im Jugendgefängnis Les Léchaires in Palézieux VD Opfer und Täter von Verbrechen zusammengebracht.
Das Wichtigste in Kürze
- Die sogenannte Restaurative Justiz ist in der Schweiz noch weitgehend Neuland.
- Als Pionierin auf diesem Gebiet gilt die Strafvollzuganstalt Lenzburg AG.
- Nun wird der Ansatz auch im Jugendgefängnis Les Léchaires in Palézieux VD angewendet.
Im Jugendgefängnis Les Léchaires in Palézieux VD werden künftig Opfer und Täter von Verbrechen zusammengebracht. Die Konfrontation soll den Verbrechern ihre Verantwortung vergegenwärtigen. Opfern soll geholfen werden, das ihnen zugestossene Leid verarbeiten zu können.
Die sogenannte Restaurative Justiz ist in der Schweiz noch weitgehend Neuland. Als Pionierin auf diesem Gebiet gilt die Strafvollzuganstalt Lenzburg AG. Nun wird dieser Ansatz erstmals auch in der französischsprachigen Schweiz angewendet.
Der Kanton Waadt lanciert in diesem Herbst ein Pilotprojekt zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit mit jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 22 Jahren. Der Austausch zwischen Opfer und Täter findet auf freiwilliger Basis statt.
Täter treffen nicht auf die direkten Opfer
Diese Plattform bringe Täter mit Opfern ähnlicher Vergehen zusammen und nicht mit ihren direkten Opfern, sagte Sylvie Bula, Leiterin der Dienststelle für Gefängnisdienste des Kantons Waadt, am Donnerstag vor den Medien in Lausanne. «Dieses Pilotprojekt basiert auf dem, was im Ausland, in Belgien und Kanada, aber auch im Gefängnis Lenzburg praktiziert wird», erklärte sie.
Wie in Lenzburg arbeitet der Kanton Waadt mit dem Schweizer Forum für Restaurative Justiz zusammen. Die Organisation wird für die Anhörung von Tätern und Opfern zuständig sein. Es werden Gruppen von zwei bis sechs Gefangenen und eine vergleichbare Anzahl von Opfern gebildet. Unter der Aufsicht von Fachleuten werden sie sich achtmal während zwei Stunden pro Woche treffen.
Ziel ist es, dass diese jungen Menschen nicht in eine kriminelle Spirale geraten. Die Waadtländer Justizdirektorin Beatrice Métraux räumte ein, dass die Auswirkungen der opferorientierten Justiz nicht wissenschaftlich belegt seien. Studien sprächen jedoch von einer Senkung der Rückfallquote um 7 bis 10 Prozent.
«Tätern fehlt oft das Bewusstsein für die Folgen ihrer Handlungen auf ihr Opfer. Das Projekt soll ihnen helfen, sich bewusst zu werden, dass es Menschen gibt, die gelitten haben und immer noch leiden», sagte Bula. Auf der anderen Seite ermöglicht die Begegnung den Opfern, dass sie gehört und anerkannt werden.
Die Teilnahme an diesen Gruppengesprächen hat keinen Einfluss auf die Strafvollstreckung. «Die Täter können auf keinen Fall mit einer Reduzierung der Strafe rechnen», sagte Métraux. Das Projekt richtet sich vor allem an Täter und Opfer von Vergehen wie Raub, Körperverletzung oder Einbruch. Eine erste Bilanz zum Projekt wollen die Behörden im ersten Quartal 2020 ziehen.