Israel-Krieg: Deshalb ist «From the River to the Sea» antisemitisch
Ein Experte erklärt, weshalb «From the River to the Sea» antisemitisch ist, was es mit dem Kraken auf sich hat und dass er in der Schweiz zuversichtlich bleibt.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Slogan «From the River to the Sea» ist ein Dauergast an pro-palästinensischen Demos.
- Die Phrase sei antisemitisch, erklärt SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner auf Anfrage.
- Der Ausdruck spreche Israel sein Existenzrecht ab und werde von Terroristen verwendet.
Im Jahr 2015 erlangte eine damals 14-jährige Palästinenserin in Deutschland nationale Bekanntheit: Als Reem Sahwil beim Bürgerdialog mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Tränen ausbrach, versuchte Merkel das Mädchen etwas ungeschickt zu trösten. Nach Vorwürfen der Kaltherzigkeit empfing die CDU-Politikerin die junge Palästinenserin gar im Bundestag.
«Das Flüchtlingsmädchen von Angela Merkel» hat mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft erlangt. Jetzt sorgt Sahwil erneut für Schlagzeilen: Acht Jahre nach den Tränen beim Bürgerdialog hetzt die junge Muslimin gegen Israel.
Auf Instagram teilt sie einen Post mit einer Zeichnung der Landesgrenzen Israels und Palästinas. Darunter steht die berühmte Parole: «From the River to the Sea – #freepalestine».
«From the River to the Sea» – eine antisemitische Parole?
Die Phrase gehört auf Transparenten an pro-palästinensischen Kundgebungen in ganz Europa buchstäblich zu den Dauerbrennern. Doch hinter der vermeintlich harmlosen Parole steckt weitaus mehr, als auf den ersten Blick erkennbar ist: Palästina möge vom Fluss bis zum Meer frei sein – doch was bedeutet frei? Welcher Fluss und welches Meer sind gemeint?
Der Ausdruck wurde in den 1960er-Jahren von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) geprägt. Diese forderte die Schaffung eines einzigen Staates vom Jordan bis zum Mittelmeer. Ein Palästina auf dem heutigen Hoheitsgebiet Israels und Palästinas – Ein Palästina ohne Israel.
Den ganzen Staat Israel auslöschen?
Der Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG), Jonathan Kreutner, erklärt auf Anfrage von Nau.ch: «Dazu müsste der gesamte Staat Israel ausgelöscht werden.»
Somit handle es sich keineswegs um einen Aufruf zum friedlichen Zusammenleben: Wie ein Palästina ohne Israel aussehen würde, habe die Menschheit am 7. Oktober auf brutalste Art gesehen, erklärt Kreutner.
Entsprechend überrascht es kaum, dass die Parole von Antisemiten in aller Welt verwendet wird: Auch von den Terrororganisationen Hamas und Islamischer Dschihad oder dem Extremistennetzwerk Samidoun – um nur drei prominente Beispiele zu nennen.
«Der Slogan ist antisemitisch»
Gestützt auf muslimische Glaubenssätze erachtet beispielsweise die Hamas die Existenz Israels als «Usurpation muslimischen Landes». Gegenüber dieser «unrechtmässigen Aneignung» müsse zwingend das Banner des Dschihads erhoben werden. Demnach werde die Stunde kommen, in der Muslime gegen Juden kämpfen und sie alle töten.
In Deutschland hat das Bundesinnenministerium im Zuge des Hamas-Verbots jüngst auch die Parole «From the River to the Sea» verboten. In der Schweiz liegt kein entsprechendes Verbot vor. Kreutner hingegen ist überzeugt: «Der Slogan ist antisemitisch, da er seiner Intention nach dem Staat Israel das Existenzrecht abspricht.»
Mangelnde Distanz zur Hamas unter Prominenten?
Bedauerlicherweise handelt es sich bei der Skandierung oder Plakatierung antisemitischer Parolen an Kundgebungen keineswegs um den einzigen Ausdruck antisemitischen Gedankenguts: Seit dem Terrorangriff der Hamas registriert der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) einen besorgniserregenden Anstieg antisemitischer Vorfälle.
Gerade prominente Persönlichkeiten links der Mitte sehen sich zunehmend Vorwürfen der mangelnden Distanzierung vom Hamas-Terror gegenüber. Klimaaktivistin Greta Thunberg sorgte diesbezüglich jüngst mehrmals für Schlagzeilen. Gleiches gilt beispielsweise für den ehemaligen Vorsitzenden der britischen Labour-Partei Jeremy Corbyn oder die demokratische Abgeordnete im US-Repräsentantenhaus Alexandria Ocasio-Cortez.
In den sozialen Medien posiert Thunberg mit dem Free-Palestine-Slogan und einem Kraken-Plüschtier. In Amsterdam teilt sie sich eine Bühne mit einer offen antisemitischen Aktivistin, die den Terroranschlag am 7. Oktober als «überfälliges Handeln» gegen eine «israelische Besatzung» bagatellisiert.
Der Krake als Kuscheltier
Thunberg selbst entschuldigt den Kraken mit ihrer Autismus-Diagnose – das Kuscheltier helfe ihr, Gefühle auszudrücken. Von einer antisemitischen Bedeutung will die Schwedin nichts gewusst haben.
Ob Thunberg den Zusammenhang kannte oder sogar bewusst eingesetzt hat, bleibt offen. Auch SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner betont: Er könne nicht abschliessend beurteilen, weshalb Thunberg oder ihre Mitstreiterinnen ausgerechnet dieses Plüschtier im Bild platziert hatten.
Der Krake als antisemitisches Symbol
Fest stehe hingegen, dass der Krake eine lange Geschichte als Symbol der Verschwörungstheorie des Weltjudentums habe. In den 1920er und 1930er Jahren war er regelmässig Motiv antisemitischer Karikaturen. Das Tier symbolisierte «den Juden», der mit seinen Tentakeln alles umschliesst und alles kontrolliert, erklärt Kreutner.
Dasselbe Motiv taucht – gestützt auf muslimische Glaubenssätze – auch in der Ideologie von Organisationen wie der Hamas regelmässig auf: Demnach steckten Juden hinter beiden Weltkriegen, Kolonialismus und Imperialismus – sie seien «eifrig dabei, Unheil auf Erden zu stiften.»
Für den SIG-Generalsekretär steht überdies fest: «Prominente oder Influencer haben einen gewissen Einfluss, da sie viele Menschen erreichen. Besonders heikel ist es, wenn Jugendliche und Kinder zur Zielgruppe gehören.» Hier sei Verantwortung vonseiten der Influencer, aber auch vonseiten der Social-Media-Plattformen gefragt.
Einzelfälle mit «schwer verständlicher Positionierung»
Mit Blick auf die Schweiz zeigt sich Kreutner dennoch zuversichtlich: Innerhalb der Eidgenossenschaft könne der SIG diesbezüglich nicht von einem «weitverbreiteten Phänomen» sprechen.
Natürlich gebe es Einzelfälle von gesellschaftlich relevanten Akteuren, die eine «schwer verständliche Positionierung» hätten. «Gleichzeitig ist aber auch nicht jede gesellschaftliche Gruppe oder Einzelperson aufgefordert oder verpflichtet, sich überhaupt zu diesem Thema zu positionieren.»