Letzigarten-Areal: Komplettabriss statt sozialverträglicher Umbau
Beim Letzigarten-Areal setzt die Halter AG trotz ausreichendem Wohnungsbestand auf Komplettabriss statt sozialverträglichem Umbau. Das gibt Kritik.

Erst kürzlich erhielten 317 Mietparteien auf dem Areal zwischen Basler-, Grund- und Freihofstrasse die Kündigung für ihre Wohnung. Die Grossgrundbesitzerin Halter AG will das rund 17’000 Quadratmeter grosse Gelände komplett neu bebauen: Ein Hochhaus, ein Hofhaus, eine Wohnzeile: Insgesamt 376 neue Wohnungen sollen bis im Jahr 2030 entstehen.
Das bedeutet eine Verdichtung um gut 18 Prozent. Doch diese Expansion hat ihren Preis: 735 Personen müssen weichen.
Wie eine Recherche von Mieten-Marta zeigt, besitzt die Familie Halter in Altstetten 1910 Wohnungen – viele davon in älteren, vergleichsweise günstigen Liegenschaften. Ein Teil dieser Objekte sind leergekündigt oder befinden sich in stark sanierungsbedürftigem Zustand. Insgesamt sind laut Mieten-Marta 501 Wohnungen betroffen. Tsüri.ch hat die Angaben stichprobenartig überprüft.
Dieser Wohnungsbestand wäre laut dem Recherchekollektiv ausreichend, um die geplante Erneuerung sozialverträglich zu gestalten: Durch eine etappenweise Sanierung könnten die heutigen Bewohnerinnen und Bewohner im Quartier verbleiben – mit temporären Umzügen nur wenige Strassen weiter.
Ein offener Brief ohne klare Antwort
In einem offenen Brief warfen Aktivistinnen und Aktivisten der Familie Halter vor, eine Abrissstrategie zu verfolgen, die sich vor allem an der Rendite orientiere. Die Neubauten, so der Vorwurf, seien auf einkommensstarke Zielgruppen zugeschnitten. Rückkehrrechte für bisherige Mieterinnen und Mieter oder Mietpreisgarantien suche man vergeblich.
Verwaltungsratspräsident Balz Halter reagierte vor gut einem Jahr zurückhaltend gegenüber Tsüri.ch: «Wir nehmen das Schreiben zur Kenntnis», sagte er. Kritik an Verdichtungsprojekten, die einen Abriss der Liegenschaften erfordern würde, sei in Zürich üblich – damit müsse man leben.
Politikerinnen sowie Politiker und Initiativen fordern Umbau in Etappen statt Kahlschlag
Kritik an der geplanten Totalsanierung kommt auch von Mieterorganisationen und Politikerinnen sowie Politiker. Eine Petition des Mietenplenums und Tanja Maag von der Alternativen Liste (AL) fordert einen sozialverträglichen Umbau des Bauprojekts in Etappen.
Teile der Siedlung könnten vorerst bestehen bleiben, während parallel dazu erste Neubauten errichtet werden. Die betroffenen Haushalte hätten in dieser Übergangszeit Anspruch auf eine Ersatzwohnung – idealerweise im selben Quartier.
Genossenschaften wie die ABZ oder BEP zeigen vor, wie das funktionieren kann: Beim Seebahnhof-Projekt ziehen Mieterinnen und Mieter in Übergangswohnungen, bis der neue Wohnraum bezugsbereit ist. So bleiben soziale Netze erhalten, die Verdrängung wird abgefedert.
Auf eine neue Anfrage von Tsüri.ch begründet die Halter AG den Schritt mit dem städtebaulichen Potenzial des Areals. «Die Halter Gruppe ist sich der Problematik von Leerkündigungen sehr bewusst», schreibt Anna Domagala, Kommunikationsleiterin der Halter AG. Man bemühe sich im Rahmen der Möglichkeiten um eine sozialverträgliche Umsetzung und berücksichtige dabei auch die Interessen der Bauherrinnen und Bauherren sowie Eigentümerinnen und Eigentümer.

Gegenüber der «Limmattaler Zeitung» teilte die Medienstelle der Halter AG mit, man habe «vergleichbare Ersatzobjekte» angeboten – teils innerhalb, teils ausserhalb der Stadt. Zudem begleite man Mieterinnen und Mieter auf Wunsch bei der Suche nach einer angemessenen Wohnung.
Dass Ersatzwohnungen angeboten werden konnten, sei ein «glücklicher Umstand», da das Unternehmen über eigene Portfolios verfüge, schreibt Domagala. Allerdings würden viele Mieterinnen und Mieter diese Angebote nicht annehmen, teils weil sie sich für teurere Wohnungen entscheiden würden, teils weil sie keine Wohnsitze ausserhalb des Quartiers akzeptierten – auch wenn diese gut erschlossen seien.
Eine Statistik zur Nutzung der Ersatzangebote führt die Halter AG nicht. Doch: «Für viele war es offenbar sehr willkommen, in günstigen Wohnungen zu wohnen, aber nicht unbedingt eine wirtschaftliche Notwendigkeit.»
Langfristige Planung blieb aus
Gegen den Vorwurf einer renditegetriebenen Abrisspolitik wehrt sich die Halter AG. Das Grundproblem liege in der Stadt- und Raumplanung: Die Kantone und Gemeinden müssten Voraussetzungen schaffen, damit ausreichend Wohnraum innerhalb der bestehenden Bau- und Zonenordnungen entstehen könne – ohne aufwendige Sondernutzungsplanungen wie Gestaltungspläne, schreibt die Halter-Kommunikationsleiterin Anna Domagala.
«Die Wohninitiativen, welche aktuell im Raum stehen, provozieren kurzfristig mehr Leerkündigungen und bei Annahme mittel- und langfristig einen massiven Rückgang an Wohnbautätigkeit.»
Stattdessen verweist die Medienstelle auf das Manifest «Urbanistica – Vereinigung für guten Städtebau». Eine Raumstrategie für die Schweiz, die Balz Halter, Verwaltungsratspräsident und Hauptaktionär der Halter AG, zusammen mit Fachpersonen aus den Bereichen Planung, Immobilien und Architektur veröffentlicht hat.
Ein Projekt in der Grössenordnung des Letzigarten benötigt jahrelange Planung. Damit bestand grundsätzlich die Möglichkeit, alternative Lösungen zu entwickeln.
Tatsächlich ist der Baustart für Ende 2025 angesetzt, wobei zunächst ein Teil des Areals umgebaut wird. Der zweite Baustart folgt im September 2027.
Diese Bauetappen werden laut Mieten-Marta jedoch nicht genutzt, um einen wirklich sozialverträglichen Prozess zu gestalten – obwohl sowohl der geplante Bauablauf als auch das umfangreiche Wohnportfolio im Quartier wichtige Voraussetzungen dafür bieten würde. Für viele Bewohnerinnen und Bewohner bedeutet dies, ihr langjähriges Zuhause verlassen zu müssen.
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Hinweis: Dieser Artikel ist zuerst bei «Tsüri.ch» erschienen. Autorin Jenny Bargetzi ist Redaktorin beim Zürcher Stadtmagazin.