Mamis bevorzugen ihre Buben – «Inzest»-Kritik
Im Moment wird fleissig über den Begriff «Boy-Mom» diskutiert: Mütter, die ihre Söhne bevorzugen, weil sie Buben sind. Tatsächlich ein Phänomen?
Das Wichtigste in Kürze
- Im Netz gehen immer wieder Mütter viral, weil sie ihre Söhne bevorzugen.
- Die Kritik reicht von «komisch» über Sexismus bis hin zu «Inzest».
- Tatsächlich werden in traditionellen Familien wohl nach wie vor Buben bevorzugt.
«Boy-Moms wissen, was ich meine. Mein Sohn hat mein Herz und meine Seele», stellt eine Mami-Influencerin klar.
Natürlich sei sie auch von ihrer Tochter besessen. «Aber mein ganzes Leben lang wollte ich eine Buben-Mama sein.»
Durch die Blume für: Auch die Tochter hat sie gern, aber den Sohn ein bisschen lieber.
Solche und ähnliche Videos werden von sogenannten «Boy-Moms», also Buben-Mamis, immer wieder veröffentlicht. Der Begriff beschreibt nicht mehr einfach Mütter mit Söhnen. Viele verstehen darunter inzwischen Mütter, die Buben bevorzugen.
Oft gehen solche Videos viral. Der Hashtag #boymom hat auf Tiktok sechs Millionen Beiträge.
«Warum sind Boy-Moms so komisch?»
Zuzugeben, ein Kind dem anderen vorzuziehen, sorgt nämlich im Netz für jede Menge Empörung. Gerade, wenn es dabei um Gender geht.
So auch in diesem Fall: Das Video wird mehrfach von empörten Frauen repostet, die der Influencerin Sexismus oder gar Inzest-Gedanken vorwerfen. Dafür erhalten sie Tausende Likes – das populärste Kritik-Video gar über 17'000.
Eine Userin sagt, ihre Mutter sei auch so gewesen. Sie sei deshalb nun in Therapie, ihr Bruder aber nicht. «Warum sind Boy-Moms so komisch?», findet eine andere.
Und eine Tiktokerin, die selbst zwei Söhne hat, urteilt in einem Video: «Ich finde es unglaublich inzestuös, so zu denken.»
Ein Drittel der Familien sollen Lieblingskinder haben
Andere Videos, die für Kritik sorgen: Eine Mutter, die es schon jetzt «schmerzt», dass sie ihren Buben eines Tages mit einer anderen Frau «teilen» muss.
Eine Mutter, die an ihrem Sohn in Football-Uniform hochspringt, als wäre sie seine Freundin.
Oder eine «Boy-Mom», die ihrem Sohn sogar schreibt, «vielleicht wäre ich deine Liebhaberin in einem anderen Leben». In diesem sei sie aber «gezwungen», seine Mutter zu sein.
Kurz: Das Thema Buben-Mamis, die ihre Söhne bevorzugen, erhitzt die Gemüter. Tatsächlich ein grösseres Phänomen?
Dominik Schöbi, Professor für Klinische Psychologie an der Uni Freiburg, erklärt bei Nau.ch: «Dass Eltern einzelne Kinder anderen bevorzugen, kommt durchaus vor.»
Der Experte spricht von einem «Tabuthema». «Aber man muss davon ausgehen, dass es in bis zu einem Drittel der Familien solche Präferenzen gibt.»
Traditionelle Familien bevorzugen Buben eher
Für die nicht-bevorzugten Geschwister kann das «schmerzhaft und auch psychologisch problematisch sein», sagt er.
Und: «Es scheint die Tendenz zu geben, dass in traditionelleren Kontexten Söhne eher bevorzugt werden als Töchter.»
Kein Wunder, stammen die Influencerinnen, die für ihre Aussagen über ihre Söhne kritisiert werden, aus den USA: Gerade im Südosten des Landes ist der Einfluss konservativer Christen gross.
Insgesamt ist es laut Schöbi aber nicht so, dass Mamis ihre Buben den Meitli vorziehen. Im Gegenteil: «Es gibt Hinweise darauf, dass Eltern dazu tendieren, die Kinder des eigenen Geschlechts zu bevorzugen.»
Die Forschungslage dazu ist jedoch nicht eindeutig.
Alternde Eltern setzen sich mit «attraktiver Jugendlichkeit» in Szene
Schöbi hat auch eine These zu Boy-Moms, die hervorheben, wie hübsch ihre Söhne sind: «Unsere Daten für die Schweiz zeigen, dass Eltern, die gegen 40 gehen, am meisten posten. So ist es vorstellbar, dass es für diese Eltern besonders interessant ist, attraktive Jugendlichkeit in Szene zu setzen.»
Möglicherweise sei es für Mütter interessanter, sich mit ihren Söhnen statt ihren Töchtern zu zeigen. Denn: «Die Mutter-Tochter-Variante beinhaltet das Risiko eines Alterskontrastes.»
Und was sagt der Experte zu den Inzest-Vorwürfen gegen Buben-Mütter, die so für ihre Söhne schwärmen?
«Inwiefern da tatsächlich eine sexualisierte Komponente im Spiel ist, ist für mich fraglich», sagt Dominik Schöbi. «Ich würde nicht völlig ausschliessen, dass sexuelles Interesse vorkommen kann. Aber nur in seltenen Fällen.»
Auch bei der Mutter, die sagt, sie wäre lieber die Liebhaberin ihres Sohnes, vermutet er das nicht. «Ich nehme an – oder hoffe zumindest –, dass das ein Versuch ist, die Attraktivität des Jungen möglichst aufsehenerregend herauszustreichen.»
«Emotionaler Inzest»
Oft fällt im Netz in diesem Zusammenhang der Begriff «emotionaler Inzest». Das bedeutet aber nichts Sexuelles.
Der Psychologe erklärt: «Von emotionalem Inzest spricht man üblicherweise, wenn Eltern Kindern nicht altersgerechte Rollen aufdrängen.»
Heisst: «Wenn man sie mehr als erwachsenen Partner behandelt, statt als Kind.» Für Kinder und Jugendliche «kann das erdrückend» sein.
Ob es sich bei den Influencer-Mamis tatsächlich um emotionalen Inzest handelt, lasse sich anhand der kurzen Posts kaum beurteilen.