Migros: Tochter verkauft jetzt KI-Sandwich – ist das die Zukunft?
Migrolino, eine Tochter der Migros, lässt sich bei ihren Sandwich-Rezeptideen von KI inspirieren. Ein Experte sieht grosses Potenzial – warnt aber auch.

Das Wichtigste in Kürze
- Migrolino verkauft neu Sandwiches mit Rezepten, die mithilfe von KI entwickelt wurden.
- Ziel sei es, Markttrends schnell zu erkennen und kreative Produkte zu entwickeln.
- Ein Experte sieht Chancen, warnt aber auch vor Risiken bei der Rezeptentwicklung mit KI.
Im Kühlregal von Migrolino fällt derzeit eine neue Produktlinie besonders auf. Auf der Verpackung steht in grossen Lettern: «Recipe generated by AI».
Darin: ein Sandwich, das also nicht von einem Koch, sondern von einer Künstlichen Intelligenz entwickelt wurde. Klingt nach Marketing-Gag – doch hinter dem Projekt steckt mehr als eine technische Spielerei.
Laut der Tochter der Migros entstand die Idee im Rahmen der experimentellen Beobachtung von Markttrends und Kundenbedürfnissen.
«Die KI wurde eingesetzt, um diese Erkenntnisse zu testen und in innovative Rezepturen umzusetzen», erklärt Sprecher Marco Fallico.
Die Technologie diene dabei nicht als Ersatz für den Menschen, sondern als «kreativer Sparringpartner, der Impulse liefert».
«KI ist kein Sparinstrument»
Doch wie muss man sich die Rezeptentwicklung mithilfe Künstlicher Intelligenz vorstellen?
Die KI – Migrolino verwendet ChatGPT – erhält ein Briefing mit Angaben zu Zielgruppe, Zutaten oder ernährungsphysiologischen Anforderungen. Innerhalb dieses Rahmens generiert sie Rezeptvorschläge.
Die eigentliche Umsetzung erfolgt anschliessend durch das Fachteam, das sowohl Geschmack, technische Umsetzbarkeit als auch Lieferantenanforderungen berücksichtigt.
«Das Endprodukt ist somit keine reine KI-Kreation, sondern Ergebnis eines intelligenten Zusammenspiels zwischen Technologie, Mensch und Lieferkette», sagt Fallico.
Auch wenn die Technologie neue Wege eröffnet, gehe es dabei ausdrücklich nicht um Einsparungen: «Für uns ist die KI kein Sparinstrument, sondern ein strategisches Werkzeug zur Trenderhebung und Ideenbeschleunigung.»
Der Prozess sei sogar aufwändiger, da die KI-Vorschläge zunächst ausgewertet, geprüft und auf Markttauglichkeit abgestimmt werden müssten, betont Fallico.
Die Offenheit, mit der die Tochter der Migros den KI-Einsatz auf der Verpackung kommuniziert, ist Teil der Strategie.
Die Erwähnung diene dazu, «die innovative Herangehensweise zu betonen und die Resonanz von den Kunden zu gewinnen.»
Migros-Tochter sieht grosses Potenzial
Und wie fällt die Resonanz aus? Das erste Produkt, das sogenannte Truly Good Baguette Pastrami AI, hat sich laut Unternehmen als Bestseller etabliert.
Besonders die Kombination von Pastrami und Avocado sei in der Testphase überraschend harmonisch und markttauglich gewesen.
Inzwischen ist ein weiteres Sandwich mit Fokus auf Functional Food im Sortiment: das High Protein Chicken Sandwich.

Fallico ist überzeugt: KI wird in Zukunft eine feste Rolle in der Produktentwicklung einnehmen. «Nicht als Ersatz für menschliche Kreativität, sondern als strategisches Werkzeug zur Ideenfindung, Trendverkostung und Marktanpassung.»
Besonders in Bereichen wie Functional Food oder internationale Ready-to-Eat-Produkte sieht die Tochter der Migros weiteres Potenzial. Entscheidend sei dabei immer, dass Geschmack, Qualität und gesetzliche Anforderungen gewahrt bleiben.
Unzählige Rezepte innert kurzer Zeit
Auch der Lebensmitteltechnologe Tilo Hühn sieht in der KI-Rezeptentwicklung grosses Potenzial – er warnt aber auch vor Risiken.
Den Begriff «Künstliche Intelligenz» hält er übrigens irreführend – Hühn spricht lieber von «automatisiertem Denken».
Die KI imitiere menschliche Intelligenz, kombiniere dabei die Erfahrungen vieler und könne so neue Ansätze liefern. «Das gibt Anhaltspunkte für eine kritische Prüfung und kann zu neuen Rezepten führen.»
Eine grosse Stärke sieht Hühn in der Effizienz: KI könne innert kürzester Zeit eine Vielzahl an Rezepten simulieren – weit mehr, als ein Team von Fachleuten schaffen würde.
Besonders geeignet sei der Einsatz bei stärker verarbeiteten Produkten wie Getränken oder Fertig-Sandwiches. Dort nämlich liessen sich Rezepturen zum Beispiel durch die Variation der Saucen flexibler anpassen.
Experte warnt vor Risiken
Gleichzeitig warnt der Lebensmittel-Experte vor ethischen Fallstricken. Die Verantwortung liege bei den Menschen, die KI einsetzen.
«Wenn KI für Rezepturen gebraucht wird, die zu einer gesunden Ernährung beitragen, dann würde ich das komplett unterstützen.»
Wenn hingegen besonders zuckerhaltige Produkte oder «das nächste Suchtmittel» damit entwickelt werden, lehnt der Forscher den Einsatz ab.

Durch die Verbindung von Konsumdaten, Nutzerprofilen und Algorithmen lasse sich Ernährung zunehmend personalisieren, so Hühn.
Das könne sowohl zur Förderung gesunder Ernährung als auch zur gezielten Manipulation genutzt werden.
Der Lebensmittel-Professor betont: «Was zählt, ist die Haltung hinter der Anwendung.»
Ob sich KI-generierte Rezepte bei Migrolino, Migros, Coop und Co. langfristig durchsetzen, werde sich zeigen. Für Hühn ist klar: «Diese Prozesse sind in der Welt – und sie werden mehr Raum bekommen.»
Migros plant keine neuen KI-Produkte
Anders als ihr Sprössling will die Migros derzeit nichts mehr von KI-Produkten wissen. Das 2023 eingeführte und von ChatGPT ersonnene Getränk Vivi Nova wurde zum Flop und folglich wieder aus dem Sortiment genommen.
Sprecher Tobias Ochsenbein sagt: «Solche neuartigen Produkte erzeugen oft einen anfänglichen Hype, der jedoch schnell nachlassen kann.»