Statt in den Beizen feiern die Fasnächtler auf den Cliquen-Wagen
Am Montag nach dem Umzug in Gelterkinden hatte das Rössli keine einzige Reservation. Hat die Fasnacht als Gastro-Motor ausgedient?

Das Wichtigste in Kürze
- Fasnächtler versorgen sich vermehrt selbst mit Speis und Trank auf ihren Wagen.
- Dies geschieht zum Leidwesen lokaler Beizen, welche teilweise halbleer bleiben.
- In einem Gelterkinder Restaurant gab es am Fasnachtsmontag keine einzige Reservation.
Angelo Di Venere schliesst am Mittwochmorgen die Tür zum Cavallino auf. Seit 18 Jahren ist der gebürtige Italiener Wirt im Restaurant Rössli in Gelterkinden. Im Innern des fasnächtlich dekorierten Lokals ist es dunkel, es öffnet erst um 11 Uhr. Die Tische sind bereits gedeckt – einige wenige sind für den Abend reserviert.
Während der Fasnacht stockt das Rössli die Sitzplätze von rund 90 auf bis zu 130 auf. Früher seien beide Säle von Sonntag bis Mittwoch meist ausgebucht gewesen, sagt Di Venere. Am Montagnachmittag kamen die Leute jeweils nach dem Umzug, um ein Stück Käsewähe zu essen oder etwas zu trinken. Ab 18 Uhr waren die meisten Tische dann für die Cliquen reserviert, die sich vor dem Maskenball in Anwil zum Abendessen trafen.
Manchmal stand Di Venere bis drei Uhr morgens in der Küche – der letzte Gast verliess um vier Uhr das Restaurant. «Die Fasnacht war ein Fest, und alle nahmen daran teil», sagt er.
Di Venere: «So macht es keinen Spass!»
Am diesjährigen Fasnachtsmontag hatte Di Venere aber keine einzige Reservation. Auch die übrigen Tage seien durchzogen gewesen – trotz Schnitzelbanksingen. Die Guggen kämen gar nicht erst vorbei.
Der 49-Jährige hat sich einen Espresso zubereitet und an den Stammtisch gesetzt. Resigniert sagt er: «So macht es keinen Spass!» Er rechnet mit 50 Prozent weniger Umsatz als im vergangenen Jahr.
Di Venere glaubt nicht, dass es an seinem Konzept liegt. Er biete wie üblich an der Fasnacht einfache Gerichte an, das Lokal sei festlich dekoriert, das Personal verkleidet. Er beobachtet jedoch seit einigen Jahren und insbesondere seit Corona grundsätzliche Veränderungen. «Die Beizen-Kultur ist irgendwie verloren gegangen», stellt er fest.
Barbetrieb als Einnahmequelle
Als mögliche Erklärung dafür sieht Di Venere, dass immer mehr Wagen-Cliquen selbst Essen und Trinken anbieten. «Ich mache ihnen deswegen keinen Vorwurf. Bei den vielen Ausgaben ist es nur richtig, dass sie versuchen, Einnahmen zu generieren», sagt er.
Der im Baselbiet bekannte Gelterkinder Schnitzelbank «dr Pfyffechopf» teilt Di Veneres Eindruck, dass sich die Fasnacht immer mehr von den Beizen auf die Strasse verlagere. Es gebe ja auch fast kein Maskentreiben mehr.

Dem «Pfyffechopf» fällt zudem auf, dass wer Schnitzelbänke hören will, das Lokal gezielt danach aussucht. In Gelterkinden gehe man dafür etwa ins Marabu. Das Kulturzentrum sei am Sonntag denn auch «pumpenvoll» gewesen.
Genauso die zwölf Lokale in Liestal, in denen er am Montagabend gesungen habe. Dem Rössli empfiehlt er, die Schnitzelbänke in Zukunft nur in einem der beiden Säle auftreten zu lassen.
Kässeli vor der Toilette in der Sonne in Sissach
Auch in Sissach traf man am Sonntag auf halbvolle und zum Teil sogar leere Beizen. Im Restaurant zur Sonne gingen die Leute zwar ein und aus – aber hauptsächlich wegen des WCs. Allerdings scheint hier nicht nur die veränderte Beizen-Kultur dafür verantwortlich zu sein, sondern – wie man hört – auch das Beizer-Paar.
Dass die Wirtin vor der Toilette Wache hielt und auf das Kässeli hinwies, macht es wohl nicht besser. Bereits vergangenes Jahr war die Sonne deswegen in der Rede zur Chluriverbrennung kritisiert worden.
In der Wystube zum Sydebändel fand eine 16-köpfige Gruppe ohne Reservation einen Tisch – das wäre noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen. Und auch im Giuseppe Verdi sass man bequem.
Als einen Fasnachts-Besucher kurz nach Mitternacht der Hunger plagte und er Lust auf Spaghetti Carbonara bekam, waren mit Ausnahme des Stöpli und der Wystube Tschudi alle Restaurants bereits geschlossen, wie er erzählt.
Imhof: «Im Gegensatz zu früher sind die Beizer weniger bereit, eine gewisse tote Zeit zu überbrücken»
Xenia Imhof ist Vizepräsidentin der Gelterkinder Fasnacht (Gefa). Rund einen Monat vor der Fasnacht hat sie zusammen mit dem Präsidenten Mischa Meier das Gespräch mit den Beizern im Dorf gesucht. «Wir wollten wissen, was wir tun können, um die Beizen-Kultur wieder aufleben zu lassen», sagt sie.
Immerhin hätten dieses Jahr die Wagen-Cliquen aus Rücksicht auf die heimischen Lokale auf den Trinkpass verzichtet. Einen solchen konnte man jeweils gegen einen bestimmten Betrag einlösen und dann den Abend lang Getränke konsumieren.
Ob diese Massnahme den Restaurants geholfen hat? Imhof bezweifelt es. Viele Wagen seien inzwischen tatsächlich zu gut ausgerüsteten Bars umfunktioniert worden.
Das komme den aktiven Fasnächtlern entgegen, die ohnehin wettertauglich gekleidet seien und lieber draussen blieben, statt in ein Lokal zu gehen und zu schwitzen. Ausserdem seien die Getränke der Wagen in der Regel auch günstiger als im Restaurant.
Die Gefa kann im Moment kein Rezept für eine bessere Beizen-Auslastung präsentieren. Die Vizepräsidentin übt aber auch Kritik an den Wirten. «Im Gegensatz zu früher sind sie weniger bereit, eine gewisse tote Zeit zu überbrücken.»
Wenn man nach einem Anlass auf dem Dorfplatz gegen 22 Uhr noch irgendwo einkehren wolle, stehe man oft vor verschlossenen Türen. Und am Schnitzelbank-Abend würden gleich nach dem letzten Auftritt die Lichter gelöscht. Zudem gebe es in den Restaurants auch kaum mehr Live-Musik. «Das Angebot wurde in den vergangenen Jahren ziemlich zurückgefahren.»
Spezialfall Liestal
Der Gefa-Vorstand zeigt sich aber offen für Gespräche. Rössli-Wirt Angelo Di Venere bringt die Möglichkeit ins Spiel, die Wagen nach dem Umzug wie in Liestal ausserhalb des Dorfzentrums abzustellen. «Vielleicht könnte man so die Konkurrenzsituation etwas entspannen», sagt er.
Liestal ist allerdings ein Spezialfall. Denn hier werden die Wagen vor allem wegen des Kienbesen-Umzugs ausserhalb des Stedtlis parkiert. Das Feuerspektakel, das jeweils am Sonntagabend Tausende von Leuten anzieht, gilt als Hochrisiko-Anlass.

Dieses Jahr wurde an der Liestaler Kinderfasnacht am Mittwoch erstmals beim Zeughausplatz eine Wagenburg aufgebaut. Wie sehr diese den Gastrobetrieb konkurrenziert hat, kann Martin Klaus, Präsident des Fasnachtskomitees, nicht beurteilen.
In Liestal wurde zudem ein Mehrweg-Konzept mit Depotpflicht eingeführt, was den Vergleich zu vergangenen Jahren zusätzlich erschwert. Klaus findet es aber grundsätzlich schwierig, die Fasnacht in den verschiedenen Gemeinden zu vergleichen, weil überall unterschiedliche Voraussetzungen und Regeln gelten.
Klaus hat aber Verständnis für den Frust der Beizer. Ihm sei zu Ohren gekommen, dass einige Wagen-Cliquen den Barbetrieb fix als Einnahmequelle in ihr Budget aufnehmen.
Einige bauten sogar zwei Wagen, einen für den Umzug und einen als Stand. Die Gastrobetriebe könnten wegen der strengen Auflagen da aber kaum mithalten. Deshalb brauche es unbedingt gleich lange Spiesse.
Die Gesellschaft verändert sich, mit ihr das Konsumverhalten – und auch die Fasnacht.
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Hinweis: Dieser Artikel wurde zuerst im Basler Newsportal «OnlineReports» publiziert.