Ein Experte kritisiert den Westen punkto Terrorismus für «falsche Toleranz». Es gebe Terroristen, die sich in Europa wohler fühlen als in muslimischen Ländern.
Terrorismus Solingen
Der mutmassliche Messerangreifer im deutschen Solingen. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Extremismusexperte Ahmad Mansour war bei der SRF-Sendung «Gredig direkt» zu Gast.
  • Er kritisiert den Westen und wirft ihm im Kampf gegen den Terrorismus Naivität vor.
  • Andere Experten schätzen die Lage differenzierter ein.
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Letzten Freitag war der israelisch-palästinensische Extremismusexperte Ahmad Mansour bei der SRF-Sendung «Gredig direkt» zu Gast.

Er musste nach eigenen Angaben mit Personenschutz anreisen. Anlässlich des Jahrestags der Terroranschläge vom 7. Oktober wurde in der Sendung unter anderem über Terrorismus in Europa gesprochen.

Denn ein Jahr später ist die Situation im Nahen Osten immer noch kritisch und sie spitzt sich weiter zu. Auch in Europa gab es seither vermehrt Terroranschläge – wie beispielsweise die Messerattacken in Solingen und Mannheim.

«Wir waren viel zu naiv»

Mansour kritisiert bei Gredig den Westen für seine «falsche Toleranz» und eine gewisse Naivität in Bezug auf Terrorismus. Dabei bezieht er sich auf eine viel zitierte Aussage des Aussenministers der Vereinigten Arabischen Emirate, Scheich Abdallah bin Zayid.

Dieser hatte bereits im Jahr 2017 auf einer öffentlichen Konferenz in Riad zum Thema Extremismusbekämpfung gesagt: «Es wird der Tag kommen, an dem wir viel mehr radikale Extremisten und Terroristen sehen werden, die aus Europa kommen. Weil sie (die europäischen Staaten, Anmerkung d. Reaktion) keine Entscheidungen treffen. Weil sie versuchen, politisch korrekt zu sein (...)»

«Wissen Sie, dass Islamisten heute in Europa sich wohler fühlen als in muslimischen Ländern?» - SRF Gredig direkt

Mansour gibt ihm recht. «Aber es sind nicht die Menschenrechte oder die Demokratie, die man deshalb aufgeben soll. Es ist einfach eine falsche Toleranz.»

Er betont: «Wir haben Gruppierungen, die die Toleranz und die Vielfalt dieser Gesellschaft nutzen, um intolerante Inhalte zu verbreiten. Und wir waren viel zu naiv.»

Zu SRF-Moderator Gredig sagt er: «Wissen Sie, dass sich Islamisten heute in Europa wohler fühlen als in muslimischen Ländern?» Der Grund sei, dass sie bei uns mit weniger Repressionen rechnen müssten und sich freier bewegen könnten.

Sollte die Schweiz – und der ganze Westen – sich punkto Terrorkampf also muslimische Länder zum Vorbild nehmen?

«Der soziale und politische Kontext ist ein ganz anderer»

Dafür hat der emeritierte Professor für Islamwissenschaften der Universität Bern, Reinhard Schulze, eine klare Antwort. «Die Vereinigten Arabischen Emirate können und dürfen niemals Vorbild für Europa sein, solange Europa rechtsstaatlich verfasst ist. Die Emirate üben null Toleranz mittels ihres autoritären Regimes aus», sagt er zu Nau.ch.

Die Vereinigten Arabischen Emirate würden einen scharfen Kurs gegen Organisationen fahren, die dem Spektrum der religiösen Nationalisten zugerechnet werden.

Terrorismus Emirate Vorbild?
Sollte sich die Schweiz die Vereinigten Arabischen Emirate bei der Terrorismusbekämpfung vielleicht sogar zum Vorbild nehmen?
Ahmad Mansour
Ahmad Mansour kritisiert in der SRF-Sendung «Gredig direkt» den Westen und wirft ihm «falsche Toleranz» vor.
Experte Reinhard Schulze Terrorismus
Reinhard Schulze, emeritierter Professor für Islamwissenschaften der Universität Bern.
experte Uni Luzern
Ahmed Ajil, Kriminologe und Terrorismus­experte, Forschungsmitarbeiter am Religionswissenschaftlichen Seminar der Universität Luzern.

Ähnlich sieht es Kriminologe und Terrorismus­experte Ahmed Ajil: «Ich denke nicht, dass man die Vereinigten Arabischen Emirate in irgendeiner Weise als Vorbild nehmen kann. Der soziale und politische Kontext ist ein ganz anderer.»

Die Vereinigten Arabischen Emirate seien ein junges Land. Die Bevölkerung besteht zu fast 90 Prozent aus Gastarbeitern aus Südostasien oder Expats.

Bedrohungsmanagement gegen Terrorismus wird ausgebaut

Ajil erklärt weiter: «Bezüglich Terrorismusbekämpfung wird in Europa mindestens seit 2015 sehr viel getan. Schulen, Jugendarbeit, Integrationsfachstellen und muslimische Vereine werden in die Radikalisierungsprävention eingebunden. Das interdisziplinäre Bedrohungsmanagement wird auch in der Schweiz kontinuierlich ausgebaut.»

Man versuche, Radikalisierungsanzeichen früh zu erkennen. Viele Ressourcen würden in die Prävention und Strafverfolgung investiert.

Warst du schon einmal in den Vereinigten Arabischen Emiraten?

«Freiheiten, Grund- und Menschenrechte müssen aber für alle gelten», betont Ajil. Diese für bestimmte Religionen zu beschneiden, sei kontraproduktiv. «Da, wo die Schwelle zur Gewalt überschritten wird, greifen die Behörden bereits heute ein.»

Auch die Zusammenarbeit zwischen Akteuren auf unterschiedlichen Ebenen habe sich laut Ajil verbessert. So werde sichergestellt, dass problematische Einzelfälle in einem umfassenden und effektiven Case Management integriert werden. «Damit man Menschen, die sich in Richtung Gewalt radikalisieren, frühzeitig abholen und bei Bedarf eingreifen kann.»

«Die europäische ‹Toleranz› ist so zwingendes Resultat der Rechtsstaatlichkeit», unterstreicht Schulze.

Dort, wo islamische Ideologien diese bekämpfen, greife der Rechtsstaat laut Schulze schon heute zu: «Ich sehe hier keine Naivität, sondern Rechtsstaatlichkeit am Werk.»

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