1000 Tage Ukraine-Krieg: Mehr Empathie für Opfer!
Daniel Koch über 1000 Tage Ukraine-Krieg: «Bei weltweit grossen Krisen könnten immer wieder Fortschritte für die Menschheit entstehen.» Eine Kolumne.
Das Wichtigste in Kürze
- Der grossflächige russische Angriff auf die Ukraine begann am 24. Februar 2022.
- Der 1000. Tag des Krieges ist der 19. November 2024.
- Es brauche mehr Empathie für Kriegsopfer, schreibt Daniel Koch in seiner Kolumne.
Vasisili Golod ist Journalist, Studioleiter und Korrespondent des deutschen Fernsehsenders ARD in Kiew.
Er hat folgenden Text auf Instagram gepostet: «Maria Trojanivska wäre morgen 15 Jahre alt geworden. Aber sie ist tot. Getötet von einer russischen Drohne, die in ihr Kinderzimmer flog. Marias Eltern überlebten.
Als ich ihrer Mutter in der ausgebrannten Wohnung gegenüberstand, hat sie gefragt: Warum darf Russland mit Drohnen und Raketen unsere Häuser angreifen und unsere Kinder töten? Und warum wird es uns verboten, militärische Ziele in Russland anzugreifen? Sie meint Militärflugplätze, von denen die tödlichen Bomber starten. Oder Lagerhallen voll mit Munition.
Nachteil für die Ukraine
Ja, der Westen liefert der Ukraine Waffen. Aber damit tief nach Russland zu schiessen, war bisher tabu. Ein Vorteil für Russland und ein Nachteil für die Ukraine. Deshalb ist Bidens Entscheidung richtig. Aber sie kommt 1000 Tage zu spät.
Zu spät – so wie jeder richtige Schritt im Umgang mit Aggressor Russland.
Wirtschaftssanktionen werden nicht wirksam durchgesetzt. Militärische Unterstützung ist nicht entschlossen genug. Es gibt keine Strategie. Seit 1000 Tagen versucht Russland, die Ukraine zu vernichten.
Ein Recht auf Leben
Aber die Ukraine muss sich für ihre Selbstverteidigung rechtfertigen. Das ist falsch und zynisch. Ukrainerinnen und Ukrainer haben ein Recht auf Leben. Ein Recht darauf, sich zu verteidigen. Sie haben ein Recht auf ihre Freiheit. Auf Frieden. Und dabei sollten wir sie entschlossener unterstützen.
Worte allein bringen uns in Europa dem Frieden nicht näher. Diplomatische Initiativen haben Russland nicht daran gehindert, die Ukraine zu überfallen. Sie hindern Russland heute nicht daran, Raketen und Drohnen auf die Ukraine zu feuern. Und das werden sie auch in Zukunft nicht. Menschen wie die 14 Jahre alte Maria werden weiter sterben.
Solange die richtigen Entscheidungen immer zu spät kommen. Solange es keine Strategie gibt, die Russland zwingt, ernsthaft über Frieden zu verhandeln. Die Ukraine muss sich so verteidigen dürfen, wie es das Völkerrecht zulässt. Damit die Ukraine überleben kann, braucht es im Westen einen echten Kurswechsel.»
Und die Schweiz?
Gefühlt gehört die Schweiz nicht zu diesem Westen. Sie ist ja neutral und hat sogar eine Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock abgehalten.
Sie trägt die Wirtschaftssanktionen mit, aber nicht zu streng und nur soweit es den internationalen Firmen und Rohstoffhändlern mit Sitz in der Schweiz nicht zu fest schadet. Mehr kann oder will sich die Schweiz auch wirtschaftlich nicht leisten.
Ja sicher, sie ist klein und militärisch unbedeutend. Die Schweiz ist in den letzten zwei Jahrhunderten immer gut damit gefahren, sich in bewaffneten Konflikten unsichtbar zu machen. Sie hat die Konfliktlösung anderen überlassen, zum Beispiel den USA. Und die haben ja einen neuen Präsidenten gewählt, der versprochen hat, den Krieg in der Ukraine schnell zu beenden.
Nur gewählt wurde er nicht wegen dieses Versprechens, sondern mit dem Slogan: «Make Amerika Great Again» oder «Amerika First». Das tönt eher nach Egoismus und Machtanspruch und nicht nach Friedensinitiative.
Mehr Mitgefühl für die Menschen
Aber die Vergangenheit lehrt uns auch, dass selbst bei weltweit grossen Krisen immer wieder Fortschritte für die Menschheit entstehen konnten. Vielleicht gelingt es sogar der Schweiz, den Geist des Rot-Kreuz-Gründers Henry Dunant wieder zu beleben.
Es braucht ja nur etwas mehr Empathie für Kriegsopfer, etwas mehr Mitgefühl für die Menschen, die das tägliche Heulen der Luftalarm-Sirenen nicht mehr ertragen.
Sie haben erfahren und sie wissen, dass es Leiden, Zerstörung und Tod bedeutet.
Zum Autor: Daniel Koch war zwischen 2008 und 2020 Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). Er ist der Öffentlichkeit als «Mister Corona» bekannt und schreibt nun regelmässig Kolumnen auf Nau.ch. Koch lebt im Kanton Bern und hat im letzten Jahr die Ukrainerin Natalia geheiratet.