Bigler zu EU-Verhandlungen: «Ein steiniger Weg liegt vor uns»
Der Bundesrat ist zuversichtlich, schon bald mit den Verhandlungen mit der EU fertig zu werden. Nau.ch-Kolumnist Hans-Ulrich Bigler ist weniger optimistisch.
Das Wichtigste in Kürze
- Hans-Ulrich Bigler ist alt Nationalrat (SVP), Ökonom und Nau.ch-Kolumnist.
- Er schreibt, dass die EU-Verhandlungen womöglich noch lange dauern werden.
- Innenpolitisch und aussenpolitisch liegen noch viele Stolpersteine auf dem Weg, so Bigler.
Mitte Dezember stellte der Bundesrat sein Vorgehen für Verhandlungen mit der Europäischen Union EU in Sachen Marktzugang vor.
Der designierte Chefunterhändler, Patric Franzen, zeigte sich kurz darauf in einem NZZ-Interview optimistisch, im Quartal 1 oder 2 nächsten Jahres von Brüssel ein definitives Ergebnis nach Hause zu bringen. Dieser Optimismus in Ehren, aber bis zum definitiven Vertragsabschluss sind noch einige Stolpersteine zu beseitigen.
Damit keine Missverständnisse zustande kommen, sei an dieser Stelle zunächst festgestellt, dass die Schweiz grundsätzlich ein vitales Interesse an einem Marktzugang in die EU hat. Und ebenso gilt der Umkehrschluss, dass unser Land für die EU ein interessanter Markt ist.
Zu Recht hielt der Schweizerische Gewerbeverband in seiner Medienverlautbarung fest, dass «in der konkreten Ausgestaltung die Beurteilung vom Trade-off zwischen einem möglichen Verlust an Souveränität der Schweiz und den Zugeständnissen an die EU zu machen ist.»
Und diese Beurteilung kann abschliessend erst erfolgen, wenn das Verhandlungsresultat definitiv auf dem Tisch liegt.
EU-Marktzugang zulasten des flexiblen Schweizer Arbeitsmarkts
Immerhin können aber heute schon Stolpersteine ausgemacht werden. Da ist zunächst innenpolitisch der Arbeitsmarkt anzusprechen. Die Sozialpartner haben klargemacht, dass der Lohnschutz nicht geschwächt werden dürfe. Bekanntlich sehen in erster Linie die Gewerkschaften diesen Punkt als gefährdet an.
Kritisiert wird hier die Spesenregelung, die die Ansätze des Heimatlandes als Grundlage im Ausland nehmen will und damit gegenüber der Schweiz zu einem Nachteil führt.
Hinter vorgehaltener Hand geben allerdings selbst die Arbeitnehmervertreter zu, dass sich das Spesenargument in der Öffentlichkeit am besten verkaufen lasse, aber eigentlich nicht so entscheidend sei. Um was geht es dann?
Präsentiert haben die Gewerkschaften in den Sozialpartnergesprächen mit dem Seco einen umfassenden Forderungskatalog der eigenen Gewerkschaftsanliegen.
Als Idee kursiert da beispielsweise die Absicht, gesetzliche Minimallöhne ins Gesetz zu schreiben, die Quoren für allgemeinverbindliche Gesamtarbeitsverträge so aufzuweichen, dass der Machteinfluss der Arbeitnehmervertretungen einseitig gestärkt wird, und dasselbe gilt natürlich auch für den Ruf nach mehr Kontrollen.
Anders gesagt, der Marktzugang in die EU ginge zugunsten der Gewerkschaften und zulasten unseres flexiblen Arbeitsmarktes, einem der wesentlichsten Standortvorteile der Schweiz.
Wer sitzt im Schiedsgericht bei Streitereien?
Aber auch aussenpolitisch sind Stolpersteine auszumachen. In erster Linie sticht hier der vorgesehene Streitschlichtungsmechanismus ins Auge. Neu sollen im Gegensatz zum gescheiterten InstA die institutionellen Elemente in jedem einzelnen Binnenmarktabkommen geregelt werden.
Allerdings soll im Streitbeilegungsverfahren der Europäische Gerichtshof seine Rechtsauslegung nach wie vor einfliessen lassen können, wenn dies für die Beurteilung des Streitfalles notwendig sein wird.
Auf den ersten Blick sieht das nach einer Verbesserung aus. Allerdings ist diese Absichtserklärung der beiden Parteien einigermassen vage. Welchen Einfluss hat damit das EU-Recht auf die schweizerische Rechtsprechung? Wie ist das Schiedsgericht zusammengesetzt und dessen neutrale Beurteilung sichergestellt?
Wie kann verhindert werden, dass bei Nicht-Befolgen des Schiedsgerichtsurteils die Ausgleichsmassnahmen nicht als Druckmittel eingesetzt werden können? Alles Fragen, die erst abschliessend bei Vorliegen eines definitiven Verhandlungsresultats beurteilt werden können.
Die Liste der Stolpersteine liesse sich nach Belieben fortsetzen. Was ist zu erwarten im Zusammenhang mit der Zuwanderung, und wie kann mit der Ausgestaltung der Unionsbürgerrichtlinie die Zuwanderung in die Sozialwerke verhindert werden?
Was kostet der Kohäsionsbeitrag, also die Höhe der finanziellen Beiträge der Schweiz an die EU, und in welchem zeitlichen Rhythmus soll er erfolgen? Was gilt bei den staatlichen Beihilfen – vergünstigte Darlehen, Staatsgarantien, Steuervergünstigungen et cetera – an Schweizer Firmen? Unter welchen Voraussetzungen kommt ein Stromabkommen zustande?
Abschliessend ist das Bewusstsein von Bedeutung, dass die Schweiz mit der EU auf Augenhöhe verhandelt. Zugeständnisse lassen sich nur so lange rechtfertigen, wie wir umgekehrt aus den vorgesehenen Regelungen Nutzen ziehen.
Die angesprochenen Stolpersteine sind aus dem Weg zu räumen und das Augenmerk muss unserer eigenen Souveränität gelten – gerade, weil wir nicht EU-Mitglied sind und auch nicht sein wollen. Gelingt es nicht, eine austarierte Lösung im Interesse der Schweiz zu finden, wird eine Vorlage vor dem Stimmvolk nie eine Mehrheit finden.