EU-Verhandlungsmandat: Bundesrat segnet Entwurf ab
Der Bundesrat hat den Entwurf für ein EU-Verhandlungsmandat abgesegnet. Ausnahmen für bestimmte Schweizer Interessen sind in mehreren Abkommen vorgesehen.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Bundesrat und die EU werden über ihre zukünftige Zusammenarbeit verhandeln.
- Nun hat der Bund ein Verhandlungsmandat ausgearbeitet, mitsamt Hauptzielen.
- Eines davon ist der Zugang zum Binnenmarkt und zu Forschungsprogrammen wie Horizon Europe.
Bald können EU und Bundesrat anfangen, über ihre Kooperation zu verhandeln. Nach langen Sondierungsgesprächen hat der Bundesrat ein Verhandlungsmandat abgesegnet. Dieser richtet sich nach den Sondierungsgesprächen und ist kein institutionelles Abkommen: Es handelt sich um einen Paketansatz.
Bundesrat Ignazio Cassis sagte an der Medienkonferenz zum EU-Verhandlungsmandat: «Die Verhandlungen werden in jedem Bereich parallel geführt und beginnen erst nach Genehmigung des Verhandlungsmandats durch die Schweiz und der EU.» In zwei bis drei Monaten werde das definitive Mandat stehen, so Cassis. Bis dahin können sich Kantone, Sozialpartner und parlamentarische Kommissionen zum Entwurf äussern.
Der Bundesrat wolle aber nicht noch zwei Jahre lang verhandeln, fügte der Aussenminister hinzu. Man wolle jetzt vorwärtsmachen. Vor Weihnachten werde die EU-Kommission voraussichtlich auch ihr Mandat fertiggestellt haben.
EU-Verhandlungsmandat: Keine fremden Richter
In jedem Binnenmarktabkommen, zum Beispiel Strom, Personenfreizügigkeit oder Landverkehr, sollen die institutionellen Elemente einzeln geregelt werden. Das soll mehr Präzision erlauben, schreibt der Bundesrat. Auslegung und Überwachung der Abkommen soll im Zwei-Pfeiler-Modell erfolgen: In der Schweiz sind Schweizer Gerichte zuständig, in der EU die EU-Gerichte.
Bei der Übernahme von EU-Recht soll das Referendum nach wie vor möglich sein, so der Bundesrat. Die Schweiz verpflichte sich nur zu einer «dynamischen Übernahme», was aber nicht «automatisch» bedeute: Auch Ablehnungen sollen möglich sein. Allerdings müsste der Bund dann «verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen akzeptieren».
Ein Schiedsgericht soll Differenzen bereinigen: EU-Recht soll dabei ausgelegt werden, «wenn es um die Spielregeln des EU-Binnenmarkts geht». Der Europäische Gerichtshof (EuGH) soll erst miteinbezogen werden, wenn es Streit um EU-Recht gibt und wenn das Schiedsgericht die Meinung des EuGH als «relevant und notwendig» erachtet.
Erasmus, Horizon und Lohnschutz
Der Bruch mit der EU manifestierte sich unter anderem bei den Bildungs- und Forschungsprogrammen. Diese waren zwar nicht umstritten, doch verweigert die verärgerte EU seit 2021 die Zusammenarbeit im Rahmen des Horizon-Pakets und «Erasmus+». So früh wie möglich soll nun wieder eine Assoziierung mit diesen Programmen angestrebt werden. Das Verhandlungsmandat dazu gibt es bereits, geklärt werden müssen die Rahmenbedingungen seitens der EU und die Finanzierung seitens der Schweiz.
Das wohl entscheidendste Element beim Verhandlungsabbruch 2021 war der Schutz vor Dumpinglöhnen für «entsendete» EU-Arbeitnehmer. Die Schweiz soll dazu EU-Recht übernehmen, aber mit einigen Ausnahmen, die auch bestehen bleiben, wenn sich das EU-Recht ändern sollte.
Als Beispiele nennt der Bundesrat die Voranmeldefrist für ausländische Firmen sowie die Pflicht zur Hinterlegung einer Kaution. Die gewerkschaftliche Forderung «gleicher Lohn für gleiche Arbeit» soll gelten, genauso wie das schweizerische Sanktions-Regime.
Liberalisierung der Bahn
Im Landverkehr soll sich Folgendes verändern: Die Schweiz öffnet den Bahnverkehr für ausländische Bahnunternehmen. Diese dürfen dann eigenständig, ohne Kooperation mit der SBB, Bahnverbindungen anbieten. Schweizerische Lohn- und Arbeitsbedingungen müssen aber eingehalten werden, sowie die Tarifangebote und der Taktfahrplan.
Nicht übernehmen will der Bund folgende Aspekte des EU-Rechts im Landverkehr: die Zulassung von über-40-tönnigen Lastwagen; Nacht- und Sonntagsverbot für Lastwagen; Ausbau der Alpen-Strassenkapazität.
Ferner sollen ausländische Strassenfahrzeuge keinen Transport von Gütern oder Personen anbieten können, der in der Schweiz anfängt und aufhört. Die EU soll zudem die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe akzeptieren.
Strommarktöffnung geplant
Die 2018 abgebrochenen Verhandlungen über ein Stromabkommen sollen wieder aufgenommen werden. Ziel ist, dass die Schweiz mit gleichen Rechten und Pflichten am europäischen Strombinnenmarkt teilnehmen kann. Dazu gehört auch die Kooperation zur Stromkrisenvorsorge und -bewältigung und die vollständige Strommarktöffnung. Letztere soll mit flankierenden Massnahmen abgefedert werden.
Teils schon Zugeständnisse bei Zuwanderung
Punkto Zuwanderung hat der Bundesrat Folgendes entschieden: Sollte die Unionsbürgerrichtlinie in das Freizügigkeitsabkommen integriert werden, sollen «Schweizer Besonderheiten» berücksichtigt werden. Dieses Zugeständnis hat die EU gemäss Bund schon gemacht.
So soll das Schweizer Sozialsystem nur «beschränkte Folgen» wegen der Übernahme erleben. Zudem soll der Verfassungsartikel zur Ausschaffungsinitiative weiterhin wirksam sein und der Lohnschutzeingehalten werden.
Künftig sei geplant, dass alle EU-Bürger mindestens fünf Jahre lang in der Schweiz erwerbstätig sein müssen, bis sie eine Niederlassungsbewilligung beantragen können. Heute ist die Mindestdauer je nach EU-Herkunftsland unterschiedlich. Nach sechs Monaten Abhängigkeit von Sozialhilfe innert der fünf-Jahre-Frist verschwindet die Aussicht auf eine Niederlassungsbewilligung.
Fünf Jahre Mindestaufenthalt gelte aber für Schweizerinnen und Schweizer in der EU, weswegen der Bundesrat eine Anpassung vornehmen will. Die Integrationskriterien sollen nach wie vor von der Schweiz definiert werden.
Der Bundesrat hat auch Rahmenbedingungen für die Verhandlungen in den Sektoren Lebensmittelsicherheit, Gesundheit, Luftverkehr, staatliche Beihilfen und Konformitätsbewertungen geschaffen. Hinzu kommen Bedingungen für den Schweizer Beitrag (unter anderem die Kohäsionszahlung) und den politischen Dialog.