Burka macht aus SVP-Patriarchen plötzlich Feministen!
Wieso Hüseyin Aydemir als Muslime die Burka und den Niqab verachtet und trotzdem ein Nein zur Initiative empfiehlt. Ein Gastbeitrag.
Das Wichtigste in Kürze
- Hüseyin Aydemir wohnt in Bern und gilt als bunter Hund.
- Aydemir ist Menschenrechtsaktivist, Satiriker und Networker.
- In seinem erstem Gastbeitrag auf Nau.ch schreibt er über die Burka-Initiative.
Halleluja, die Patriarchen der SVP haben den Feminismus entdeckt! Wir befinden uns in einer verrückten Zeit.
Und eigentlich kann man jeden Tag vor die Türe treten und nur noch staunen: Durch eine wundersame Fügung kommt die SVP ausgerechnet 50 Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts (was ihre Vorgänger sicher nicht zu Freudensprüngen veranlasste) dazu, einen Befreiungskampf für unterdrückte Frauen zu starten.
Nur schade, dass sie sich auf ihrem Weg zur feministischen Kampftruppe dazu entschieden hat, ein Symbol zu verbieten, das in der Schweiz faktisch kaum anzutreffen ist.
Mit merkwürdigen Prioritäten
Wäre es nicht so tragisch, könnte man sich glatt darüber totlachen, dass es in der Schweiz täglich mehr Coronaopfer gibt als generell Burkaträgerinnen existieren.
Obwohl natürlich auch die SVP die grösste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg nicht vorausahnen konnte, lässt die Prioritätenliste der Partei in dieser Hinsicht zu wünschen übrig.
Wenn man sich die bisherigen Arbeitsnachweise der SVP in Bezug auf die Gleichstellung oder in Bezug auf Frauenrechte ansieht, kommen unweigerlich einige Fragezeichen auf. Und man fragt sich, ob sich die Partei mit diesem neuartigen Feminismus nicht ein bisschen mit fremden Federn schmücken will.
Wie Fadegrad-Kolumnist Reda El Arbi in seiner gestrigen Kolumne auf Nau.ch bereits erwähnte, war die SVP mit ihrem Orakel aus Herrliberg bis zum Schluss dafür, dass Vergewaltigung in der Ehe weiterhin Privatsache sein sollte.
Der (erst) 2004 knapp angenommene dreimonatige Mutterschaftsurlaub wurde von der SVP im Zusammenschluss mit der FDP bis zum Schluss bekämpft. Letzthin konnte eben diese Haltung auch gegenüber dem Referendum des Vaterschaftsurlaubs beobachtet werden, welcher ja dazu dienen sollte, die Frauen in der anstrengenden Zeit nach der Geburt zu unterstützen.
Care-Arbeit wird ignoriert
Dass Frauen laut Bundesamt für Statistik jährliche Care-Arbeit im Wert von 248 Milliarden Franken leisten. Auch das hat die SVP bisweilen elegant ignoriert.
Das entspricht jährlich 1557 Stunden Gratisarbeit pro Person, welche sie körperlich und geistig an die Grenzen bringen.
Wenn es um den Schutz vor physischer, psychischer oder sexueller Gewalt geht, insbesondere um die Investitionen in Frauenhäuser oder die Unterstützung von präventiven Projekten, läuft das Engagement der Partei in die Gegenrichtung oder unter ferner liefen.
Abschätzige Kommentare zum Frauenstreik
Auch der gigantische Frauenstreik wurde bisweilen entweder achselzuckend zur Kenntnis genommen oder durch die verzweifelte Angst über den Verlust der unantastbaren Männlichkeit abschätzig kommentiert.
Legendär waren nicht zuletzt von konservativer Seite her auch die Reaktionen im Netz, als die Schweizerinnen nach dem Vorbild von Schottland Ende November den Wunsch nach Gratis-Tampons und -Binden äusserten. Einige Wutbürger gerieten bei diesem Thema in einen regelrechten Blutrausch.
Diese hier angefangene Liste könnte beliebig weitergeführt werden, mit Themen wie der Lohngleichheit, der tiefen Rente oder staatlichen, familienunterstützenden Angeboten –die SVP glänzte bisweilen überall mit Abwesenheit.
Aber nun plötzlich entsteht da dieses feurige Interesse an den verhüllten, unterdrückten Frauen. Irgendwie schwer zu glauben, werden dabei doch genau die Frauen bestraft und kriminalisiert, welche in ihrem Abstimmungskampf ihrer Meinung nach als unterdrückt und schützenswert betrachtet werden. Die Männer, welche ihre Frauen angeblich zur Verhüllung zwingen, sind dabei allerdings fein raus.
Widersprüchliches Argumentarium bei Burka
Irgendwie ein widersprüchliches Argumentarium. Doch nach einer langen Durststrecke von krachenden Niederlagen, sowohl bei Abstimmungen wie auch bei den Wahlen, sei es ihnen gegönnt, dass wir in ein paar Wochen alle vermummt zur Urne gehen werden, um über ein Vermummungsverbot abzustimmen.
Das Wort «Paradoxon» habe ich aus aktuellem Anlass zu meinem Lieblingswort erklärt.