Freidenker-Kolumne: Ehe wird endlich wieder zivilrechtlich gedeutet
Das Wichtigste in Kürze
- Andreas Kyriacou freut sich im Gastbeitrag, dass die Ehe für alle angenommen wurde.
- Die Ehe ist kein ursprünglich religiöses Konzept.
- Es war höchste Zeit, sie wieder rein zivilrechtlich zu deuten.
Sämtliche Kantone haben am Sonntag der Ehe für alle zugestimmt, also auch jene elf, die sowohl 1985 das neue Eherecht wie auch 1999 die neue Bundesverfassung abgelehnt hatten. Auch in ländlichen Gebieten befürworteten die Stimmberechtigten diesmal also mehrheitlich die Modernisierung der Spielregeln für unser Zusammenleben.
Die Ehe ist kein ursprünglich religiöses Konzept
Religiös-konservative Kreise bekämpften die Vorlage, weil sie ihrer Definition der Ehe widerspricht. Sie übersehen aber – absichtlich oder aus Unwissen – dass das Familienrecht keine religiöse und noch viel weniger eine christliche Erfindung ist.
Regelungen zur Ehe kommen bereits in den ältesten wenigstens fragmentarisch erhaltenen Rechtssammlungen vor, dem Codex Ur-Nammu, dem Codex Lipit-Ištar und dem Codex Hammurapi. Diese rund vier Jahrtausende alten Texte sind nach den sumerischen Königen Ur-Nammu und Lipit-Ištar beziehnungsweise dem babylonischen König Hammurapi I benannt.
Nicht nur die Eheschliessung wird in den Texten geregelt, sondern auch die Scheidung. Der Codex Hammurapi, der fast vollständig erhalten und entschlüsselt ist, regelt das Annullieren einer Ehe in sieben Paragrafen. Rückblickend ist dies bemerkenswert. Denn seit der Christianisierung durch die römischen Kaiser Konstantin und Theodosius I wurde die Ehe zunehmend als unvergänglich angesehen.
Nach dem Zerfall des Römischen Reichs fiel die Regelung des Familienrechts meist religiösen Autoritäten zu. Insbesondere im Einflussbereich des Katholizismus waren Scheidungen damit nur noch in Ausnahmefällen möglich.
Religiöse Prägung der Ehe dauerte eineinhalb Jahrtausende
Diese religiöse Prägung des Familienrechts hielt bis in die Neuzeit an. Die zivilrechtliche Eheschliessung wurde in Frankreich 1792 während der Revolution eingeführt, aber bereits 1816 mit der Rückkehr zur Monarchie wieder abgeschafft. Erst 1884 wurde dort das Scheidungsrecht wieder eingeführt.
Die Schweiz führte die Zivilehe mit der Bundesverfassung von 1874 und dem 1876 nach einem knappen Abstimmungssieg der Reformkräfte eingeführten «Bundesgesetz betreffend Feststellung und Beurkundung des Zivilstandes und die Ehe» ein. Dieses regelte auch die konfessionsneutrale Anerkennung der Scheidung.
Denn die reformierte Kirche hatte für ihre Mitglieder bereits vorgesehen, dass eine Ehe aufgelöst werden kann, die katholische Kirche hingegen sah nur eine Trennung von «Tisch und Bett» vor: Ein Paar konnte sich faktisch trennen, die Ehe konnte aber nicht aufgelöst werden, entsprechend blieb ein Wiederheiraten ausgeschlossen. Die Einführung der Zivilehe war ein erster wichtiger Schritt zur Resäkularisierung des Familienrechts.
Das Ja zur Ehe für alle setzt den säkularen Trend fort
Die nun erreichte breite Anerkennung des Rechts zur Eheschliessung für gleichgeschlechtliche Paare zeigt, dass die Säkularisierung der Schweiz weiterhin erfolgreich voranschreitet. Die Schweizerinnen und Schweizer haben zum wiederholten Mal bewiesen, dass sie sich bei gesellschaftlichen Fragen nicht an den Positionen der religiös-konservativen Bremser orientieren. Das Ja zur Ehe für alle fügt sich nahtlos ein in die Liste der klaren Abstimmungsergebnisse zugunsten des Rechts auf Abtreibung, des Rechts auf Sterbehilfe und dem Zugang zur Präimplantationsdiagnostik.
Danke an die Fundamentalisten für das Referendum
Ich danke den Fundamentalistinnen und Fundamentalisten aus EDU, EVP, SVP und christlich-konservativen Lobbyorganisationen wie Zukunft Schweiz für das Lancieren des Referendums. Erst die Volksabstimmung vom vergangenen Sonntag hat bewiesen, was vermutet werden durfte: Auch die Ehe für alle (und die Samenspende auch für lesbische Frauen) wird von einer breiten Mehrheit befürwortet. Euer Beitrag zur Festigung der säkularen Errungenschaften der Schweiz ist überaus wertvoll!
Zum Autor: Andreas Kyriacou ist Präsident der Freidenker-Vereinigung der Schweiz (FVS), Gründer des Wissensfestivals Denkfest und des humanistisch und wissenschaftlich ausgerichteten Sommerlagers Camp Quest sowie NGO-Vertreter am UNO-Menschenrechtsrat.
Die FVS vertritt die Anliegen der nicht religiösen Bevölkerung und setzt sich insbesondere für eine weltlich-humanistische Ethik, die Hochhaltung der Menschenrechte und die Trennung von Staat und Kirche ein.