Gewaltakt an Frau lässt auch im Kosovo die Alarmglocken läuten
Im Kosovo ist eine junge Frau getötet worden. Täter sollen ihr Partner und ein Mann aus der Schweiz sein. Das macht Angst, so Nau-Kolumnistin Shqipe Sylejmani.
Das Wichtigste in Kürze
- Vor wenigen Tagen wurde im Kosovo eine 18-Jährige getötet, mutmasslich von ihrem Partner.
- Der Gewaltakt liess die Alarmglocken läuten: Tausende gingen auf die Strasse.
- Nau-Kolumnistin Shqipe Sylejmani über Brutalität gegen Frauen im Kosovo – und der Schweiz.
«Sie erfüllen uns mit Stolz, doch beschützen können wir sie nicht», wird zurzeit auf Social Media als Beitrag geteilt, um den Tod der 18-jährigen M.O.* zu thematisieren. Die mutmasslichen Täter am brutalen Mord sind ihr Partner und ein weiterer Mann, der wohnhaft in der Schweiz ist. Auch hierzulande sorgte erst kürzlich ein Basler Gericht bei der Urteilsverkündung zu einer Vergewaltigung für Furore. Gewaltakte, die in beiden Ländern für Unmut und Angst sorgen.
Im Kosovo kämpfen Frauen gegen die immer wiederkehrende Gewalt an ihnen und müssen sich gerade in diesen Tagen mit dem tragischen Tod der 18-jährigen M. O.* aus Ferizaj befassen. Die junge Frau wurde am Sonntag tot von ihrem Partner und einem weiteren Mann vor das Spital in Ferizaj abgelegt, bevor die beiden die Flucht ergriffen.
Einer der mutmasslichen Täter, A. S.*, ist wohnhaft in der Schweiz. Mittlerweile wurden beide festgenommen und der Fall der Staatsanwaltschaft übergeben.
Eine Autopsie soll die definitive Todesursache klären. Man geht aber von «immenser psychischer und physischer Gewalt aus, die tagelang angedauert haben muss», erklärt das Infoportal «Telegrafi» aus Kosovo. Die Beerdigung fand heute statt, währenddessen Tausende in der Innenstadt Ferizajs einmal mehr gegen die abscheulichen Gewaltakte an Frauen protestierten.
Es ist nicht der erste schwerwiegende Fall, der in Kosovo die Alarmglocken läuten lässt. Die steigende Brutalität, mit der Frauen konfrontiert sind, zeigt auf, wie gefährlich die herrschende Ignoranz, bewusste Tabuisierung und vor allem die Schuldzuweisungen gegenüber den Opfern ist und wie sehr dies gerade den Tätern in die Hände spielt.
21 getötete Frauen in der Schweiz
Auch bei uns ist die Gewalt an Frauen und besonders die Anzahl der Femizide prekär: «In der Schweiz wird alle zwei Wochen eine Frau durch ihren Ehemann, Lebensgefährten, Ex-Partner, Bruder oder Sohn getötet», schreibt das Rechercheprojekt «STOP FEMIZIDE» auf ihrer Webseite. Stand 24. August sind es sogar 21 Frauen in den letzten 34 Wochen. Erst am 12. August wurde eine Frau in Ostermundigen, Bern getötet. Die Frau wurde 20 Jahre alt.
Dass Gewalt an Frauen, Drohungen und fehlende Informationen zu dem Thema eine zunehmende Gefahr sind, durfte ich selbst in den letzten Wochen erfahren: mit bedrohlichen Kommentaren auf meinen Sozialen Kanälen, Drohmails und Nachrichten wurde auf eines meiner Zitate beim SRF Instagram-Format «We, myself and why» reagiert.
In diesem Zitat erwähnte ich, dass viele Frauen von Ängsten begleitet werden, wenn sie allein oder nachts unterwegs sind. Solche Reaktionen verstärken diese Angstzustände nur – und sie sind nicht der letzte Faktor.
Wo das Rechtssystem versagt
Die Verarbeitung solcher Gewaltakte in Medien und im Rechtssystem schaffen zudem jeweils Raum für «victim blaming», also Opferbeschuldigungen. Erst im Juli 2021 wurde die Vergewaltigung einer Frau in Basel zum Thema, da das Basler Gericht das Strafmass des Täters heruntersetzte. Begründet hatte das Appellationsgericht die Reduktion der Strafe mit dem Verhalten während und nach der Tat.
Diese habe nicht lange gedauert und das Opfer sei nicht schwer verletzt worden. Ausserdem habe sie «Signale gesendet» in dem sie einen anderen Mann zuvor auf die Toilette begleitet habe. Solche Urteile hinterlassen nicht nur einen faden Nachgeschmack sondern decken auch die Unfähigkeit unseres Rechtssystems bezüglich dem Schutz von Gewaltopfern auf.
Kein Wunder also, dass bei Vergewaltigungen und Ähnlichem kaum Anzeigen erstattet werden. Nebst der Art und Weise wie die Betroffene und jede ihrer (!) Taten betrachtet und bewertet werden, sowie auch der mentalen Belastung des Aufarbeitens, ist unser Rechtssystem nicht auf Seiten der Leidtragenden: Laut Strafgesetzbuch muss sich eine Frau «genügend» wehren, damit es als Vergewaltigung gilt.
«Genügend» wird dann jeweils in Relation mit dem Konsum von Alkohol, der getragenen Kleidung oder dem Verhalten des Opfers gesetzt. Wir versagen darin, Frauen Schutz zu bieten oder zumindest Gerechtigkeit. Eine Tragödie an sich.
Sollte die Statistik von «STOP FEMIZIDE» im Recht liegen, werden wir das nächste Opfer von Femiziden bereits Ende August in ihrer langen Liste sehen. «Wie viele noch?», schreien heute die Protestierenden in Ferizaj. «Wie viele noch?», frage ich mich auch hier in der Schweiz.
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Shqipe Sylejmani ist als Kolumnistin bei Nau.ch tätig, wo sie über das Leben in zwei Welten schreibt. Die in Prishtina geborene Journalistin und Kommunikationsberaterin veröffentlichte im Oktober 2020 ihren ersten Roman «Bürde & Segen».