Hans-Ulrich Bigler: Schwarze Wolken über dem EU-Dossier
Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU haben begonnen. Doch bereits jetzt sieht Nau.ch-Kolumnist Hans-Ulrich Bigler Ungereimtheiten.
Das Wichtigste in Kürze
- Erst diese Woche haben die Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU begonnen.
- Gewerkschaften befürchten weniger Lohnschutz. Sie haben aber auch eine «hidden agenda».
- Ausserdem könnte ein Vertragsabschluss die Schweizer Souveränität beschneiden.
- Eine Kolumne von alt Nationalrat Hans-Ulrich Bigler (SVP).
Diese Woche sind die Verhandlungen zum EU-Dossier zwischen der Schweiz und Brüssel offiziell gestartet. Doch schon ziehen schwarze Wolken auf. Weil der Schweizerische Gewerkschaftsbund SGB den Lohnschutz gefährdet sieht, will er sich innenpolitisch an den Sozialpartnergesprächen mit Bundesrat und seco nicht mehr beteiligen.
Doch dies ist nicht die einzige Schwierigkeit. Wer sich in den letzten Wochen im Detail mit der Ausgangslage befasst hat, dem sind einige Ungereimtheiten aufgefallen.
Beginnen wir innenpolitisch mit dem SGB. Dessen Präsident, Pierre-Yves Maillard, ist ein gewiefter Verhandlungsführer, der seine Ziele mit aller Hartnäckigkeit und kompromisslos verfolgt. Gegen aussen befürchtet der SGB eine Aufweichung des Lohnschutzes.
Ebenso kritisiert er die Spesenregelung in der EU, die zu inakzeptablen Wettbewerbsverzerrungen zuungunsten von schweizerischen Unternehmen führten.
Gewerkschaften wollen eigene Position stärken
Diese Punkte sind in der Öffentlichkeit verständlich. Wer Maillard kennt, tut allerdings gut daran, nach seiner «hidden agenda» zu fragen. Konkret will er als Preis für einen Vertragsabschluss Mindestlöhne in der Schweiz einführen.
Bis heute politisch aussichtslos. Ebenso wollen die Gewerkschaften mittels Senkung der Quoren die vereinfachte Einführung von Allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträgen.
Angesichts der in den letzten Jahren massiv zurückgegangen Mitgliedszahlen bekämen die Gewerkschaften ein Instrument, um ihren Machtanspruch in unserem flexiblen Arbeitsmarkt enorm auszuweiten. Schwarze Wolken über den Standortvorteilen der Schweizer Wirtschaft.
Aber auch seitens EU sind schwarze Wolken auszumachen. In seinen Stellungnahmen hat der Bundesrat stets von Sondierungsgesprächen gesprochen, um gemeinsame Landezonen auszumachen. Demgegenüber spricht der zuständige EU-Kommissar, Maros Sefcovic, unverhohlen von «Verhandlungen». Die Frage, welche Zugeständnisse die Schweiz bereits gemacht hat und wie gross der eigene Verhandlungsspielraum überhaupt noch ist, muss gestellt werden.
Der Elefant im Raum ist zweifellos die dynamische Rechtsübernahme und die Position beziehungsweise der Einfluss des Europäischen Gerichtshofs. Vonseiten des Bundesrates wird hier abgewiegelt und auf das Schiedsgericht verwiesen. Bei Uneinigkeit könne die Schweiz auf ihrem Standpunkt beharren, es drohten in diesem Fall seitens EU «bloss» Ausgleichsmassnahmen.
Abgesehen davon, dass voraussichtlich praktisch jede Frage vom EUGH beurteilt und in der Folge zu europäischer Rechtsübernahme führt, ist hier noch eine andere Tatsache von Bedeutung.
Das von der EU veröffentlichte «common understanding» hält dazu klipp und klar fest, dass sich Ausgleichsmassnahmen nicht auf ein einzelnes Paket beschränken.
Im Klartext: Wenn sich die Schweiz im Rahmen der Personenfreizügigkeit gegen eine überbordende Zuwanderung zur Wehr setzen will, können Ausgleichsmassnahmen dazu führen, dass beispielsweise unser Land von der Forschungszusammenarbeit Horizon ausgeschlossen wird. Es braucht nicht viel politischen Sachverstand, um zu verstehen, wie die EU das Machtspiel zu ihrem Vorteil treiben wird.
Wie sehr profitiert die Schweiz vom EU-Binnenmarkt?
Es ist kaum davon auszugehen, dass hier in den Gesprächen der kommenden Wochen und Monate wesentliche Verbesserungen erzielt werden können. Inwiefern die Schweiz damit vom ungehinderten Zugang in den EU-Binnenmarkt wirklich profitiert, bleibt damit offen. Zu befürchten ist, dass der Preis angesichts des eigenen Souveränitätsverlustes inakzeptabel hoch ist.
Die EU-Befürworter wiederholen Mantra-mässig die Notwendigkeit eines Vertragsabschlusses. Ein Scheitern könne sich die Schweiz keinesfalls leisten. Unser Wohlstand stehe auf dem Spiel. Das gilt es kritisch zu hinterfragen.
Ist der EU-Vertragsabschluss für unser Land tatsächlich derart alternativlos, wie uns das die Befürworter Mal für Mal weismachen wollen?
Die Antwort ist eine einfache: Der zweitwichtigste Handelspartner der Schweiz gleich nach der EU sind die USA. Mit den USA haben wir nicht einmal ein Freihandelsabkommen abgeschlossen. Und trotzdem profitieren Schweizer Unternehmen vom ungehinderten Marktzugang in die USA. Das Beispiel zeigt, dass die Schweiz gut daran tut, seine Souveränität zu bewahren und sich nicht blindlings in die Arme der EU zu werfen.
Es zeigt sich nämlich immer mehr, dass den angeblichen Vorteilen eines Rahmenvertrages noch viel gewichtigere Nachteile gegenüberstehen. Angesichts der schwarzen Wolken wäre damit ein reinigendes Gewitter, das zu einem Übungsabbruch führt, nur von Vorteil.
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Zur Person: Hans-Ulrich Bigler ist Ökonom und war von 2008 bis 2023 Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV). Er ist im Vorstand mehrerer Verbände, darunter auch das Nuklearforum Schweiz, und sass von 2015 bis 2019 für die FDP im Nationalrat. Heute ist Bigler SVP-Mitglied.