Hans-Ulrich Bigler: Kommt Bewegung ins EU-Dossier?
Hans-Ulrich Bigler hält wenig von einem «Institutionellen Abkommen» mit der EU. Höher als kurzfristige Gewinne sei der Erhalt der Souveränität zu gewichten.
Das Wichtigste in Kürze
- Hans-Ulrich Bigler (SVP) hat den Eindruck, dass wieder Bewegung ins EU-Dossier kommt.
- In seiner Nau.ch-Kolumne macht der 66-Jährige eine Lagebeurteilung.
In den letzten Tagen entstand der Eindruck, dass wieder Bewegung ins EU-Dossier kommt. Zunächst lancierte Kompass Europa eine Volksinitiative, die sich gegen eine versteckte EU-Passivmitgliedschaft wendet. Sodann zeichnete sich ab, dass sich der Bundesrat demnächst über das Dossier beugen wird. Und schliesslich scheint sich die Schweiz bei einer Zuwanderungsklausel gegen die EU nicht durchsetzen zu können. Höchste Zeit für eine Lagebeurteilung.
Beginnen wir beim Bundesrat. Ursprünglich war dem Vernehmen nach damit zu rechnen, dass das Gremium im November eine erste Bewertung des Verhandlungspakets machen würde. Im Dezember sollte dann bei einer positiven Einschätzung die Vorlage Politik und Öffentlichkeit vorgestellt werden. Das hätte eine gegenseitige Einigung von Schweiz und EU vermuten lassen.
Ob dem aber so ist, muss schon wieder bezweifelt werden. Erst am Donnerstag wurde bekannt, dass die EU unter keinen Umständen auf eine Schutzklausel im Rahmen der Personenfreizügigkeit eingehen will. Sie spricht gar von einer roten Linie.
Schweizer Bevölkerung hat genug von der hohen Zuwanderung
Man muss kein Prophet sein, um sich vor diesem Hintergrund die Schwierigkeiten in einer allfälligen Volksabstimmung vorzustellen. Die Schweizer Bevölkerung hat schlicht genug von der hohen Zuwanderung und erachtet sie als problematisch. Wenig hilfreich ist da der mantramässig wiederholte Hinweis beispielsweise aus Kreisen der Pharmakonzerne, unser Wohlstand würde damit gesichert.
Tatsache ist nämlich, dass die Schweiz vorwiegend in die Breite wächst. Anders gesagt, nimmt das Pro-Kopf-Wachstum des Bruttoinlandproduktes im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich zu. Der Wohlstand des Einzelnen wächst also nicht wesentlich. Kommt noch hinzu, dass der freie Marktzugang zur EU keineswegs alternativlos ist.
Das bestätigte dieser Tage Nationalrat Simon Michel, Nationalrat FDP und Inhaber der erfolgreichen Medtechfirma Ypsomed. Die Schweizer Medtechbranche wurde als Strafe für eine fehlende Weiterentwicklung des bilateralen Verhältnisses vom EU-Markt ausgeschlossen beziehungsweise wird wie ein Drittland behandelt.
Mehr Bürokratie und höhere Kosten, weil namentlich die Zertifizierung nicht automatisch anerkannt wird. Michel stellt fest, dass sich seine Branche auf die neue Situation hätte einrichten können. Für andere sei das schwieriger. Das kann sein, aber wie eben festgestellt, ist es nicht alternativlos. So liefern US-Unternehmen höchst erfolgreich in den EU-Markt ohne jegliche Freihandelsabkommen. Das kann die Schweizer Wirtschaft ebenso gut.
Schweiz wäre schutzlos jeglicher Erpressung durch EU ausgesetzt
Kommen wir zu einem zweiten wesentlichen Problem, der dynamischen Rechtsübernahme. Wer das den Verhandlungen zu Grunde liegende «Common Agreement» aufmerksam liest, stellt fest, dass es sich nicht um «Bilaterale III» handelt, wie uns das der Bundesrat weis machen möchte. Klipp und klar ist von einem «Institutionellen Abkommen» die Rede.
Als Konsequenz folgt die Verpflichtung zur dynamischen Rechtsübernahme durch die Schweiz. Im Klartext: Das letzte Wort hätte trotz vorgesehenem Schiedsgericht der Europäische Gerichtshof. Natürlich müsste die Schweiz den Schiedsgerichts-Entscheid nicht übernehmen. Wegen der vorgesehenen Ausgleichsmassnahmen wäre unser Land jedoch schutzlos jeglicher Erpressung durch die EU ausgesetzt.
Genau hier setzt nun die Initiative von Kompass Europa an. Namhafte Wirtschaftsvertreter – nebst einigen Vertretern der Cervalatprominenz – wenden sich gegen eine EU-Passivmitgliedschaft. Zu Recht mahnen sie die Gefährdung des eigenen Erfolgsmodells an und wollen verhindern, dass die EU unsere Gesetze macht. Einprägsamer Slogan: keine EU-Passivmitgliedschaft. Und damit eben auch gegen ein zukünftiges Institutionelles Abkommen.
Zudem soll das obligatorische Referendum für eine Abstimmung bei völkerrechtlichen Abstimmungen eingeführt werden. Bei einem allfälligen Institutionellen Abkommen sollen also Volk und Stände zusammen das letzte Wort haben.
Reflexartig meldete sich die Geschäftsführerin von economiesuisse, Monika Rühl, zu Wort und kritisierte die Kompass-Initative: «Dank den Bilateralen haben wir Marktzugang zur wichtigsten Handelspartnerin und bleiben eigenständig in unserer Standortpolitik.» Das ist so einfallslos wie langweilig. Kein Wunder bezeichnete sie der Nebelspalter umgehend als Propagandistin und «Löli des Tages».
Erhalt unserer Souveränität
Die kritischen Stimmen mehren sich, die zu Recht auf den geringen Nutzen und die hohen Kosten eines zukünftigen Institutionellen Abkommens mit der EU hinweisen. Noch ist es verfrüht, eine abschliessende Bewertung vorzunehmen, da das definitive Verhandlungsresultat offen ist.
Eines ist indessen heute schon klar: Ohne Wegfall des Streitschlichtungsverfahrens, das dem EUGH in der Schweizer Gesetzgebung Tür und Tor öffnen würde, und ohne eine sinnvolle Schutzklausel in der Zuwanderung, hat es die Vorlage schwer an der Urne. Höher als alle kurzfristigen Gewinne ist der Erhalt unserer Souveränität zu gewichten, Grundlage für unsere Eigenständigkeit, die eigene Wettbewerbsfähigkeit und das Schweizer Erfolgsmodell.
Zur Person: Hans-Ulrich Bigler ist Ökonom und war von 2008 bis 2023 Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV). Er ist im Vorstand mehrerer Verbände, darunter auch das Nuklearforum Schweiz, und sass von 2015 bis 2019 für die FDP im Nationalrat. Heute ist Bigler SVP-Mitglied.