Unser Autor hält die Pressefreiheit für eines der wichtigsten Rechtsgüter einer Demokratie. Trotzdem hebelt sie nicht automatisch die Persönlichkeitsrechte auf.
Reda El Arbi
Gastautor bei Nau.ch: Reda El Arbi. - Nau.ch

Das Wichtigste in Kürze

  • Nau.ch-Kolumnist Reda El Arbi erklärt die linksgrünversiffte Welt.
  • Reda El Arbi erlangte als Blogger und Journalist Bekanntheit.
  • Bis 2011 war er Chefredaktor des Satiremagazins «Hauptstadt».
  • Er lebt mit Frau und zwei Hunden in Stein am Rhein SH.
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Eine ehemalige Bloggerin und jetzige Journalistin wollte ein Buch über das intimste Trauma einer anderen Frau schreiben. Ohne deren Einverständnis. Die unfreiwillige Protagonistin (wir lassen den Namen hier weg, kommen aber später darauf zurück) hat sich rechtlich dagegen gewehrt und in erster Instanz gewonnen.

Viele meiner Journi-KollegInnen schreien jetzt Zeter und Mordio, weil sie Zensur wittern. Sie meinen, es sei der Journalistin in «vorauseilender Zensur» verboten worden, das Buch zu schreiben.

Das stimmt so nicht. Es ist ihr nur explizit verboten worden, die Privatsphäre der ProtagonistInnen (nicht nur der Klägerin) zu verletzen. Ich bin ein vehementer Verfechter der Pressefreiheit. Aber die Pressefreiheit hebelt nicht automatisch das Recht des Individuums auf Privatsphäre aus. Damit das geschehen kann, muss ein gewichtiges, relevantes, öffentliches Interesse nachgewiesen werden. Und damit ist nicht die voyeuristische Geilheit des Publikums auf sexuelle Details gemeint.

Zum Beispiel wären neue Erkenntnisse und Fakten ein Grund, so ein Buch zu veröffentlichen. Hätte die Journalistin sowas nachweisen können, wäre der Schutz der Privatsphäre wohl gefallen. Aber nach all den Gerichtsprozessen, den über 2000 Medienartikeln und dem fortschreitenden Missbrauch durch gewisse JournalistInnen, sind keine weiteren Fakten mehr zu erwarten. Der Skandal ist ausgelutscht und nur noch für politische oder voyeuristische Zwecke instrumentalisierbar. Oder für persönliche Rache.

Und hier kommen wir zum eigentlichen Punkt: Warum will eine Journalistin sich mit dem intimsten Trauma einer anderen Frau profilieren, gehässig darüber spekulieren, was in der schlimmsten Nacht im Leben der anderen Person passiert sein könnte?

Bereits ganz am Anfang dieser Affäre erklärte mir die Journalistin, damals eine Kollegin beim selben Arbeitgeber, bei einem Kaffee in der Helvti, dass sie der Protagonistin nicht glaubt. Dass sie denkt, die Frau habe einfach die Kontrolle verloren und sich mit ihrer «Geschichte» herausgemogelt.

Später hat sie diese Sichtweise auf den sozialen Medien immer wieder angedeutet und auch in persönlichen Gesprächen mit Dritten so formuliert. Die Bias stand schon lange fest. Die Protagonistin hat der Journalistin übrigens die Erlaubnis für eine Geschichte entzogen, die ganz gross hätte rauskommen sollen.

Die Angelegenheit wurde für die Journalistin zu einer persönlichen Vendetta, sie definiert sich offenbar stark über dieses Thema. So meinte sie, dass das Verbot der Verletzung der Privatsphäre für sie de facto ein Berufsverbot bedeute. Ich persönlich sehe es eher als schwierig an, wenn man sich beruflich über einen einzigen Vorfall definiert, über den bereits alle Medien alles geschrieben haben.

So, wir haben nun ein wenig die Autorin beleuchtet, gehen wir zurück zur Protagonistin.

Stellen Sie sich eine Frau vor, die eines der schlimmsten sexuellen Traumas erlebt, egal in welcher Form (das werden wir nie wissen, und das geht uns auch nichts an). Diese Frau wacht morgens auf, und ihre intime Welt ist zutiefst verletzt. Und als Nächstes hat sie nicht etwa Zeit, diese Verletzung in sicherem, geschützten und privaten Rahmen zu verarbeiten. Nein, sie und ihre Intimsphäre werden an die Öffentlichkeit gezerrt, sie wird nochmals missbraucht, diesmal durch die Sensationsgier der Medien und des Publikums. Im Tram, in den Gratiszeitungen, auf allen Frontseiten wird über ihr Trauma spekuliert, wird angeschuldigt, genüsslich werden Details ausgerollt. Familie und Kinder dieser Frau werden wieder und wieder verletzt.

Und dann, fünf Jahre später, kommt eine Journalistin, die sich immer wieder abwertend über die Frau geäussert hat, und will daraus nochmals einen Justizporno machen, für den geneigten Voyeur, spekulieren, wo keine Fakten erhältlich sind. Sich mit dem Leid einer anderen Frau beruflich und persönlich profilieren ...

Ah, sie wollten ja den Namen der Protagonistin wissen. Nun ja, setzen Sie einfach den Namen ihrer Frau, ihrer Tochter, ihrer Schwester ein. Und nehmen Sie gleich Familie, Kinder und Umfeld mit dazu. Dann stellen Sie sich die ganze Geschichte nochmals in allen Details vor.

Und? Denken Sie immer noch, dass hier Pressefreiheit über Persönlichkeitsschutz geht?

Vermerk: Ich schliesse heute die Kommentarspalte, da ich wirklich keine Lust habe, den geifernden Voyeuren, den Hatern und den Missgünstigen eine weitere Plattform für Verletzungen zu geben.

Zum Autor: Reda El Arbi ist 50-jährig, kommt aus Zürich und zog vor einigen Jahren nach Stein am Rhein. Grosse Bekanntheit erlangte er mit seinem Zürcher «Stadtblog» für den «Tagesanzeiger». El Arbi schreibt unverblümt, hat zu allem eine Meinung und polarisiert auch gern. Er ist verheiratet und lebt mit Frau und Hund in Stein am Rhein SH.

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