Pressefreiheit: Investigativ-Journis kommen nicht in die Schweiz
Investigativ-Journalisten erhalten ihre Informationen meist von sogenannten Whistleblowern. Damit riskieren sie eine strafrechtliche Untersuchung.

Das Wichtigste in Kürze
- Journalisten können sich strafbar machen, wenn sie über Bankinformationen schreiben.
- Deshalb meiden viele Investigativ-Reporter das Betreten der Schweiz.
- Sie erhalten ihre Daten oft durch sogenannte Whistleblower.
Die Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen hält viele ausländische Investigativ-Journalisten davon ab, ihre Arbeit auf Schweizer Boden fortzusetzen.
Cecilia Anesi, Direktorin des italienischen Zentrums für Investigative Reportagen, ist eine von ihnen. Sie hat zahlreiche Untersuchungen durchgeführt und dabei oft Verbindungen zur Schweiz aufgedeckt. Insbesondere im Zusammenhang mit der Mafia, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet.
Anesi: «Über Bankinformationen zu schreiben, ist ein Verbrechen»
Eine Einladung an die Università della Svizzera italiana im Jahr 2023 lehnte sie ab: «Über Bankinformationen in der Schweiz zu schreiben, ist ein Verbrechen. Daher wurde uns geraten, die Schweiz nicht zu besuchen», sagt sie.
Anesi war Teil eines internationalen Teams von über 100 Journalisten, das 2022 brisante Informationen über Kunden der Credit Suisse veröffentlichte.
Das Problem: Die Daten stammten von einem Whistleblower aus der Grossbank. In der Schweiz riskieren Journalisten eine strafrechtliche Untersuchung, wenn sie einen Bankkunden nennen, dessen Informationen aus solchen Quellen stammen.
Selbst wenn es sich um Schwerverbrecher handelt: «Journalisten können strafrechtlich belangt werden», bestätigt das Staatssekretariat für Internationale Finanzfragen dem «Tages-Anzeiger».
Auch Baquero zog Konsequenzen
Antonio Baquero, Europa-Koordinator der Investigativ-Plattform OCCRP und ebenfalls am Credit-Suisse-Projekt beteiligt, teilt diese Bedenken: «Als ich von diesen rechtlichen Problemen für Journalisten hörte, war ich schockiert.»
Nach Veröffentlichung seiner Artikel zog auch er Konsequenzen und sagt zum «Tages-Anzeiger»: «Ich habe beschlossen, nicht mehr in die Schweiz zu reisen.» Die Angst vor rechtlichen Folgen ist so gross geworden, dass einige Journalisten sogar Flüge über Zürich-Kloten meiden.
Die Situation hat sich kürzlich noch verschärft: Nach einer Untersuchung zur Bank Reyl haben die Anwälte der Bank fünf Journalisten ein aggressives Schreiben geschickt. Und sie drohten ihnen mit einer Strafanzeige wegen Verletzung des Bankgeheimnisses.
Trotz dieser Drohung entschieden sich Anesis Team, Baquero und viele andere ausländische Journalisten, über die Bank Reyl zu berichten. Sie enthüllten unter anderem: «Aserbaidschanische Personen, die mit der Herrscherfamilie verbunden sind», hätten über 400 Millionen Franken bei der Reyl investiert.
Ständerat will das Gesetz verschärfen
Die Credit Suisse erstattete nach den Enthüllungen von Anesi und Kollegen im Jahr 2022 Anzeige. Infolgedessen ermittelte die Bundesanwaltschaft – jedoch nicht wegen fragwürdiger Kunden der Bank, sondern wegen des Verdachts auf eine Verletzung des Bankgeheimnisses.
Der Whistleblower, der die Enthüllungen ermöglichte, wird weiterhin gesucht. Es ist möglich, dass ausländische Journalisten, die mit der Quelle der Bankdaten in Kontakt standen, von den Behörden einvernommen werden. Eine Festnahme ist aber eher unwahrscheinlich.

Der Fall löste eine Debatte über die Pressefreiheit aus, insbesondere nach der Veröffentlichung der CS-Daten im Februar 2022. Die UN-Berichterstatterin für Meinungsfreiheit intervenierte beim Bundesrat, was zu einer Prüfung der Pressefreiheit führte.
Finanzministerin Karin Keller-Sutter unterstützte diese Prüfung. Doch der Ständerat stoppte diese Untersuchung und schlug stattdessen vor, das Gesetz zu verschärfen und die Pressefreiheit weiter einzuschränken.
Der Vorstoss zielt darauf ab, den Persönlichkeitsschutz zu gewährleisten. Zudem soll die Rolle der Journalisten im Umgang mit sensiblen Informationen hinterfragt werden.