Zu intolerant für den «Marsch fürs Läbe»?
Das Wichtigste in Kürze
- Sam Urech aus dem Zürcher Oberland ist Halleluja-Kolumnist auf Nau.ch.
- Schreiben Sie uns Ihre Meinung in den Kommentarspalten.
- Den Autor erreichen Sie für Fragen und Anregungen direkt per E-Mail unter sam@hiSam.ch.
Immer wieder eindrücklich, wieviel Wut und Hass es auslösen kann, wenn sich Menschen gegen Abtreibung wehren.
Man darf in Zürich für fast alles demonstrieren. Aber wehe, wenn die Abtreibungsgegner kommen und für das Leben marschieren.
Dann wird es der Polizeidirektorin zu eklig und sie verbietet den «Marsch fürs Läbe». Nicht etwa wegen Corona! Sondern weil die «Gefahr durch Angriffe linksradikaler Gewalttäter» zu hoch sei.
Ist es der «Marsch fürs Läbe» nicht wert, dass man ihn schützt? Darf man nicht gegen Abtreibung sein? Wo ist die Toleranz der Toleranten?
Nicht lebenswert?
Beim Gesundheitspersonal in Belgien wurde letzthin eine Umfrage durchgeführt, in der es 90 Prozent ethisch finden, wenn ein Baby selbst nach der Geburt noch getötet werden darf, falls eine «ernsthafte, aber nicht-tödliche Behinderung» vorliege.
Was genau diese schwammig formulierte Aussage «ernsthafte, aber nicht-tödliche Behinderung» definieren soll, ist nicht klar. Etwa auch Down-Syndrom? Oder eine Hasenscharte? Um Gottes Willen!
Nun, ich kann gut reden. Ich bin Vater von zwei gesunden Jungs, die sich prächtig entwickeln. Und ausgerechnet ich soll anderen Eltern das Recht verbieten, ihr beeinträchtigtes Baby töten zu dürfen?
Mit grösstem Respekt!
In meinem erweiterten Umfeld gibt es ein Paar, das ein schwer beeinträchtigtes Kind zur Welt brachte. Das erste Lebensjahr des Kindes wohnte die junge Familie fast nur im Spital.
Nicht vorstellbar, was diese Eltern durchmachten. Und es ist nicht vorbei. Das Kind wird immer eine Herausforderung bleiben.
Ich habe grössten Respekt vor jedem Elternpaar, das so etwas aushält. Ich weiss nicht, ob ich genug stark dafür wäre.
Entsprechend habe ich auch Verständnis dafür, wenn sich Eltern gegen ein solches Leben entscheiden. Und will sie auf keinen Fall verurteilen.
Was für eine Doppelmoral
Wie schlimm Verurteilen sein kann, zeigt eine aktuelle Geschichte aus Brasilien.
Da wurde ein zehnjähriges (!) Mädchen zur Zielscheibe von einigen evangelikalen Christen. Warum? Sie wurde vergewaltigt und nahm den Schwangerschaftsabbruch in Anspruch.
Eine Abtreibungsgegnerin veröffentlichte den Namen des Mädchens und nannte auch das Spital in Recife. Vor der Klinik kam es prompt zu einer Demonstration gegen Abtreibung.
Man will das Leben schützen und macht dafür einer Zehnjährigen, die vergewaltigt wurde, zusätzlich noch ein schlechtes Gewissen? Was für eine Doppelmoral.
Abtreibung – Ihre Meinung dazu?
Bitte mit Empathie!
Wo also positioniere ich mich inmitten dieses Wirrwarrs?
Als wichtig erachte ich, dass man immer auch die Gegenseite zu verstehen versucht. Und sie respektiert.
Wie fühlt sich das zehnjährige Vergewaltigungsopfer, wenn sie durchs Spitalfenster Plakate mit der Aufschrift «Kinder sind ein Geschenk Gottes» sieht?
Kämpft man so für die gute Sache? Hilft das irgendjemandem? Oder zerstört es nicht viel mehr?
Solidarisch mit dem Kind?
Genau so sollten sich aber auch alle Aktivisten, die den «Marsch fürs Läbe» sabotieren wollen, mal folgendes überlegen: Darf man nur solidarisch mit der Mutter sein? Nicht auch mit dem Ungeborenen?
Geht es beim Thema Abtreibung wirklich nur um Frauenrechte? Nicht auch um das Recht auf das Leben eines Kindes?
Warum sollten tolerante Menschen gewalttätig werden, wenn andere Menschen ein Leben schützen wollen?
Was ist wirklich wichtig?
Zurück zum Umfrage-Resultat aus Belgien. Es macht mich unendlich traurig, weil wir Menschen offenbar definieren wollen, was lebenswert ist – und was nicht.
Besuchen Sie mal ein Heim für Menschen mit Beeinträchtigungen. Und dann beobachten Sie das Treiben auf dem Paradeplatz in Zürich. Was fällt Ihnen auf?
Mir fällt auf, dass nicht immer das erstrebenswert ist, was wir als wichtig und erfolgreich taxieren.
Ich glaube, wir sollten nicht entscheiden, was lebenswert ist und was nicht. Und wir tun gut daran, wenn wir kein Leben beenden.
Aber diejenigen, die das nicht so sehen, will ich weder verurteilen noch bekämpfen.
Zum Autor:
Sam Urech ist 36-jährig, verheiratet und Vater von zwei Buben. Mit seiner Familie besucht er die Freikirche FEG Wetzikon. Sam hat viele Jahre beim Blick als Sportjournalist gearbeitet und ist heute Inhaber der Marketing Agentur «RatSam».
Er liebt seine Familie, seine Kirche, Guinness, Fussball, Darts, den EHC Wetzikon, Preston North End und vor allem Jesus Christus. Sam schreibt wöchentlich auf Nau.ch über seine unverschämt altmodischen Ansichten. Hier finden Sie alle seine Halleluja-Kolumnen.
Fragen oder Anregungen? Schreiben Sie Sam ein Email: sam@hiSam.ch